Sonnabend, 01. Mai 1999
Tag der Arbeit auch genannt; aus unerfindlichen Gründen,
denn lustigerweise wird an diesem Tage weniger gearbeitet
als sonst. Blöd nur, daß er auf einen Samstag fällt. Obwohl,
die ganzen Verkäuferinnen, Friteusen und alles, was sonst
noch samstags ran muß, werden sich freuen. Allerdings nur
kurz, denn in Aachens Innenstadt ist morgen verkaufsoffener
Sonntag. Zu früh gefreut.
So
ein schlechter Mensch kann mein Nachbar zur Linken gar nicht
sein. Als ich heute Morgen auf dem Balkon talwärts blickte
– kein Gedudel, so was macht mich mißtrauisch! – schaute
mich vom Balkonsims nebenan etwas schwarzes Pelziges an,
von der Gattung Felis Catus, I presume. Man sonnte sich
offensichtlich, denn Sonne scheint hier on the dark side
of the Adalbertstreet nur in den frühen Morgenstunden und
kurz vor Sonnenuntergang. Hurtig zückte ich die EOS, um
diese nette Ansicht festzuhalten. (Im Hintergrund übrigens
der Dom.)
Von der Schwarzen Pracht wurde ich kritisch beäugt – was
entweder mit Angriffsverhalten oder dem grellen Sonnenlicht
zu begründen ist. (Wahrscheinlich Angriff: Schließlich war
von mir nur der ebenso pelzige Kopf zu sehen.) Man versuchte
sogar, über die uns trennenden Dachpfannen zur mir herüber
zu gelangen. Kein ungefährliches Unterfangen, deshalb war
ich froh, das dieser Versuch unverrichteter Dinge abgebrochen
wurde.
Denn:
Auch für eine Katze ist ein Sturz aus dem vierten Stock
sicher kein Pappenstiel? Da ist zwar ein Schneegitter unterhalb
der Buckelpiste Dach, aber trotzdem. Krallen greifen nicht
so gut auf Eternit. Riskant ist das allemal: Nachbars Balkon
hat gar kein Gitter oder Geländer, wie meiner – aber so
ein Tier ist ja nicht dumm. Es sei denn, ein Schmetterling
flattert vorbei und der Jagdinstinkt erwacht unvermittelt
… Komisch, daß ich meinen samtpfötigen Nachbarn nicht schon
früher kennengelernt habe. Vielleicht sieht man sich ja
jetzt öfter.
Angespornt vom Sonnenschein (und vom Vorhaben, den Film
vollzukriegen; ich brauch 'ne dicketale!) zog ich daraufhin
hinaus in die morgendliche, noch nicht überfüllte Innenstadt,
auf der Pirsch nach lohnendem Motiv.
Unter anderem hatte ich es auf ein Plakat abgesehen: »Maifest
der SPD am Gut Entenpfuhl – Noch mehr Spaß für die Kleinen«
Gestern war da noch ein anderes Label drübergepappt: »Mit
Bombenstimmung!« Das war heute leider schon wieder weg …
Auf dem Marktplatz standen einige Mädels orientierungslos
und unbeholfen mit Clipboards im Arm herum. Da deuchte mir,
das mögen wohl Kommilitoninnen – oder besser gesagt: Ex-Kommilitoninnen
– aus meinem Psycho-Seminar sein. Wahrscheinlich galt es,
im Praxistest die Methode der Befragung zu erlernen. Learning
by failing – bei kaum etwas kann man mehr Fehler machen
als bei einem Fragebogen! Beim genaueren Hinsehen erkannte
ich sie auch wieder. Sie aber nicht mich. Schade, befragen
hätte ich mich gerne lassen … I love messing data.
Has the foe finally met his fate? Die Tröte war die ganze
Woche noch nicht zu hören, auch nicht der unsägliche Geiger
– das sind die beiden, die sich zu allem Überfluß jetzt
auch noch das Repertoire teilen. Sollte es doch etwas gebracht
haben, daß ich mich letzte Woche beim Amt beschwert habe?
Ein Lob auf Law & Order! Diese Woche war nur der Orgler
und der Typ mit der Quetschkommode, Akkordeon geheißen,
da.
Da
bin ich der werbetreibenden Wirtschaft doch voll auf den
Leim gegangen! Vor ein paar Wochen bekam ich vor der Haustür
von so ein paar Promoschneckchen 2 Pick-Up!-Riegel
för ümmesönst in die Hand gedrückt. Gar net mal so schlecht:
Quasi ein Butterbrot aus Butterkeks und Esszet-Schnitte.
Gewiß, erinnert etwas an Prinzenrolle, ist aber viel besser.
Und seitdem kann ich an keinem Süßwarenregal vorbeigehen,
ohne mindestens einen 5er-Pack ins Körbchen zu werfen. Dumm
nur, daß deren Fernsehwerbung so hohl ist, daß man das leckre
Zeug eigentlich nicht kaufen dürfte.
Donnerstag, 06. Mai 1999
Was sind das eigentlich für Hare-Krishna-mäßige Typen,
die ab und zu in unseren Einkaufsstraßen stehen und in lumpiger
Jeanskluft einen Stapel knallbunter CDs an die zumeist jungen
Leute verteilen? Ist das eine kultige Sekte, sind es die
bösen Scientologen? Bestimmt will man mit psychologisch
nicht unbedenklichen Akkorden die Jugend des Landes willfährig
machen.
Oder stecken die gleichen Gestalten dahinter, die auch immer
mit ihrem VW-Bulli durch die Lande fahren und unbescholtenen
Bürgern, also mir, vermeintlich überzählige Boxen zu spottenden
Preisen andrehen wollen? Wer weiß Rat? Bitte melden!
Schon
gehört? tm3 bekommt die Champignons-League. Rupi Murdock
hat ein paar hundert Mios springen lassen und ganz Deutschland
zerreißt sich das Maul. Mich läßt es relativ kalt. Sowohl
der Frauensender als auch Fußball interessieren mich nicht.
Von mir aus kann der auch die Bundesliga und Boxen und Tennis
und Skispringen und was weiß ich noch einkaufen! So ein
bißchen Formel 1 reicht mir völlig als sportliche Betätigung!
Sonntag, 09. Mai 1999
Oh, ich muß gleich noch bei meiner Mami anrufen, heute
hat sie nämlich Muttertag. Wer hat den eigentlich erfunden?
Ferrero, Fleurop oder die Telekom?
Und apropos Muttertag: Mein Schatz teilte mir mit, daß wir
definitiv nicht in das Vergnügen eines Millennium-Babys
kommen werden. Ich liebe diese Nachricht alle 4 Wochen!
Montag, 10. Mai 1999
NATO! Es reicht langsam! Warum bombardiert Ihr die chinesische
Botschaft in Belgrad? Wollt Ihr ernsthaft Nummer 3? Dann
weiter so. Die CIA habe falsche Informationen weitergegeben,
hieß es. Ein Agent solle Fehlinformationen geliefert haben.
Ein Maulwurf gar? Nix da: Die CIA hat veraltete Stadtpläne!
Da ist noch nicht verzeichnet, daß seit 4 (!) Jahren die
Chinesen in dem Gebäude hausen. Wofür steht nochmal das
I in CIA …?
Mittwoch,
12. Mai 1999
Bin gespannt, wie morgen die Karlspreisverleihung an Tony
Blair verlaufen wird. (»Oh Tony!«) Werde im
TV alles live verfolgen. Ich könnte ja auch eben hingehen,
ist nur 250 Meter entfernt … Und ich bin gespannt, ob sich
auf dem Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld raustellt,
daß sie eigentlich olivgrün sind …
Donnerstag, 13. Mai 1999
Christi Himmelfahrt, Vatertag, you name it. Die Karlspreisverleihung
an Tony Banks ist relativ glimpflich verlaufen. Es waren
wohl etliche Demonstranten da, die auch während der Prozedur
im Krönungssaal des Rathaus’ tüchtig auf ihren Pfeifen trillerten.
Tony kommentierte das mit typisch britischem Understatement:
Das habe er in No. 10 Downing Street zur Zeit auch ständig,
er fühle sich hier wie zu hause.
In Bielefeld hingegen ging die Post ab! Man versuchte unseren
Außenmini Joschka per Farbbeutel rotzufärben. Das gibt doch
dann oliv?! Mit blauen Vätern war ja zu rechnen, aber mit
roten Grünen …? Wohl als Kollateralschaden trug der arme
Joschka ein angerissenes Trommelfell davon. Ein Grünen-Parteitag
unter Polizeischutz? Mal was Neues, vielleicht sind die
Grünen ja doch polizeigrün …
Sonntag, 16. Mai 1999
Uuuhuuu,
pain is so close to pleasure … Den ganzen Tag schon fahren
hier die Fußballfans gelb-schwarz beflaggt hupenderweise
im Korso umeinander. Nur weil die Alemannia den Aufstieg
in die zweite Bundesliga geschafft hat. Nerv. Diese Fanatiker
lassen sich davon nicht abhalten, obwohl letzte Woche ihr
Trainer überraschenderweise in der Blüte seiner Jahre vom
Herzkaschper dahingerafft wurde. Die sollten doch mal lieber
still kondolierend hier vorbeidefilieren.
Lokal gesehen gibt diese Konstellation bestimmt noch einiges
her: Nun kann sich Aufsteiger Aachen mit den Kölner du Mönchengladbachern
balgen, die von der ersten Bundesliga kommen.
Wo gab es nochmal günstig ThermoPane© im Angebot …?
Dienstag, 18. Mai 1999
Nun sind sie fast alle wieder da, die lieben Nervensägen!
Heute wurde die Tröte wieder gesichtet, das Schifferklavier
patrouilliert auch auf und ab … doch was ist das?! Knoff-Hoff!,
eine sechsköpfige Dixielandkapelle direkt unterm Balkon.
Angesichts des wohlgefüllten Geldköfferchens scheint sich
das echt zu lohnen. Aber was rege ich mich auf …
Mittwoch, 19. Mai 1999
Wie schön, daß es noch Konstanten auf der Welt gibt. Es
ist 9:55 und pünktlich ertönt draußen das vertraute und
liebgewonnene Getröte. Also: Für meine Beerdigung wünsche
ich mir »Ave Maria« auf Melodika, 20 mal hintereinander,
mindestens! Ich sollte mir wohl doch einen Job suchen, der
mich tagsüber außerhäusig beschäftigt, nicht immer diese
Telearbeit … 10:15, die Sonne brennt … nein, die Quetschkommode
ist da. 10:40, Weiterflug nach Rom … nein, ein Bläserquartett!
Daschamal was Neues! Der slawischen Weisen hatte ich nun
auch vorerst genug.
Samstag, 22. Mai 1999
Morgen wird der oder die neue Bundespräsident gewählt.
– Thomas sagt: Wählen gehen! Zur Wahl stehen Bruder Johannes,
Oma Schipanski und Tante Uta Ranke-Heinemann (Tante nämlich
von Johannes Rau). Egal wie’s ausgeht: Bleibt ja in der
Familie.
Meine
Favoritin ist ja die coole Uta im grünen Lederkostümchen.
Ich traf sie mal vor 10 Jahren auf der Frankfurter Buchmesse
(»Nein und Amen« und »Eunuchen für das Himmelreich« hat
sie geschrieben. O.K., gelesen habe ich das auch nicht …).
Am Abend zuvor war sie in »Aspekte« zu sehen und in Mainhattan
rief sie dann quer durch die Messehallen zu einem – wahrscheinlich
weit, weit entfernten – Bekannten: »Na, ham se mich gestern
im Fernsehen gesehen?« So stelle ich mir eine Bundespräsi
vor!
Den Rau mach ich einfach nicht leiden. (Der sagt nämlich
immer mach statt mag!) Vor 5 Jahren wäre es
okay gewesen, aber heute finde ich den einfach zu alt und
tatterich mit seiner salbungsvollen Art. Seinen Ruhm hat
wohl hauptsächlich dadurch erworben, indem er den Kohlekumpels
von der Ruhr als Landeschef üppige Subventionen zugeschanzt
hat. Morgen darf ich wohl nicht mehr so lästern über ihn,
dann ist es ja womöglich Majestätsbeleidigung …
Daß ein Staatsoberhaupt unbedingt einen Schwanz in der Hose
haben muß, finde ich nicht. Daß allerdings jemand Buprä
werden sollte, nur weil er keinen hat – so wie von
zahlreichen unverbesserlichen Feministinnen/innen gefordert
–, finde ich nicht. Schon vor fünf Jahren setzte die Titanic
(gibt’s die eigentlich noch?! ) zwei knackige Brüste auf
den Titel, mit der Unterschrift: »2 gute Gründe für Hildegard
Hamm-Brücher!«
Sonntag, 23. Mai 1999
Der
Rau ist doch tatsächlich Bürger-King geworden, so ein Mist
aber auch … äh, Glückwunsch Euer Ehren! »Das erste Wahlversprechen,
das die SPD gehalten hat.« (Harald Schmidt)
Auf zeitweise 5 Sendern konnte man parallel die Wahl verfolgen;
miserabler Ton, außer bei Phoenix. Die Bilder waren weitestgehend
eh gleich, nur der Kommentar variierte. Das heißt, soviel
zu sagen gab es eigentlich nicht … – ich bewundere diese
Reporter. Das ZDF lieh sich für die Berichterstattung die
MTV-Optik: Nicht nur die Kamera fuhr hektisch auf und ab,
auch die Journalisten liefen umher! Spannender als deren
Berichte war die Frage, wann sie denn rückwärts unschuldiges
Wahlvieh über den Haufen laufen.
Quasselbudenpräsident Thierse hätte sich fast leichtfertig
um sein Amt gebracht, als er die Bundesversammlung zur »Wahl
des neuen Bundestagspräsidenten« begrüßte …
Montag, 24. Mai 1999
HERBERT GRÖNEMEYER
Donnerstag, 27. Mai 1999
Hm, passiert nicht viel these days. Nicht viel zu berichten.
Außer: Daß es schwei-ne-heiß da draußen ist. Geht auf 30°
Celsius zu. Und auf der Straße laufen die Mäuschen umeinander,
daß mann wieder nicht weiß, wohin mann gucken soll! (Aus
Scham? – Nix da, damit mann nichts verpaßt!)
Samstag, 29. Mai 1999
Draußen
herrscht der böse Sommer mit reichlich 30° (Auf zum Eisdealer!)
und das bißchen Wind bläst alle Pollen, vorzugsweise Gräser
und Roggen, durch die Lande. Sniff. Hier sind alle Schotten
dicht; sogar die Vorhänge habe ich zugezogen – ob das die
Pollen wohl beeindruckt …? Neben dem VCR liegt ein Stapel
Videos, so sollte das Wochenende wohl auszuhalten sein.
Was hört man denn da vom Browser-Krieg? Langsam wendet
sich das Blatt: Alles hackt auf dem Communicator rum, er
sei veraltet, hält sich noch nicht mal an die von ihm mitbegründeten
Standards – aber bitte, welcher Browser tut das schon?!
IE 5.0 hingegen wird in den höchsten Tönen gelobt, was CSS-Implementierung
und dergleichen angeht. Aber solange der mir nicht so eine
schöne private Bookmark-Leiste ermöglicht, wird er zweite
Wahl bleiben. Als Internetprogrammierer muß man sich mit
so einem Scheiß rumschlagen. Ich versuche das einigermaßen
zu umgehen, indem ich so schlicht gestalte, daß das zur
Not auch mit dem Notepad 1.0 dargestellt werden kann. In
ein paar Jahren lacht sich sowieso alles über diesen Kleinscheiß
kaputt.
Werter Leser:
Falls Du denkst, der Wonnemonat sei im diario trollo nur
stiefmütterlich behandelt worden, so hast Du völlig
recht. Bedenke, daß der arme Autor bedingt durch Pollenallergie
und Nebenwirkungen der Antiallergika hier ziemlich in den
Seilen hängt.