Dienstag,
01. Juno 1999
Hey, schon 2 Tage hintereinander ohne Straßenmusik?! Da stimmt
doch was nicht. Ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen? Oder
liegt es schlicht an der Baustelle gegenüber, wo man sich bemüht,
das halb abgerissene Gebäude wieder hochzupäppeln? Sägen, Bohren
und Hämmern klingt jedenfalls allemal besser als tröten.
Als ich nach dem Einkaufen meinen Kasten Gerolsteiner nach Hause
schleppte (isch abe ja kein Auto!), kam ich wie so oft
an einem einschlägig bekannten Kleingeld-Beggar vorbei. Diesmal
ließ er mich allerdings aus – schade, da konnte ich ihn nicht
wie sonst mit einem scharfen »Nein!« anpatzen. Vielleicht hat
er sich aber auch mein Gesicht gemerkt. Obwohl, ich glaube, der
guckt sich seine Opfer nicht so genau an. Die Leute sind ja eh
nur laufende Portemonnaies. Irgendwann sage ich vielleicht mal
so was wie: »Sehe ich aus wie das Sozialamt?!« Oder wedele mit
einem Fuffi: »Leider kein Kleingeld!« Den Vogel abgeschossen hat
heute allerdings eine schon etwas ältere Dame (ja, das Wort Dame
trifft!), die mit rheinischer Nonchalance resolut reagierte: »Jetzt
gehen Sie mal bitte arbeiten!« Wow, der war gut! Der fremde Typ
neben mir mußte sich genau wie ich auf die Lippe beißen.
Oh Ärztin! Da hat sie mir diese schonerenden Tabletten verschrieben,
mit der Begründung, die anderen machten müde, und was ist? Ich
hänge hier voll in den Seilen! Da hilft auch kein Regenguß. Das
nächste Mal bestehe ich auf meine polychlorierten aromatisierten
Hyperglukocortikoiden, jawoll!
Happykadaver, 03. Juno 1999
Wow, und ich bin doch der Held! Gestern habe ich einen tiefen
Griff ins Klo getätigt: In einer neuen Videothek – meine alte
hatte nicht alles – habe ich zwei Filme ausgeliehen. Ist ja Feiertag
heute. Was habe ich mich gefreut, sogar die brandaktuellen Blockbuster
waren da: »Verrückt nach Mary« und »Wag the dog«. Nur schnell
die Anhänger mit den Nümmerchen geholt und ab zur Videotheke.
(Kleiner Wortwitz!) Doch jähes Erwachen heute: Ich habe mir mit
traumwandlerischer Sicherheit die falschen Nümmerchen gekrallt,
nämlich die aus der Reihe darüber, so ein Scheiß! Nun habe ich
hier 2 exquisite Schrottfilme und kasteie mich ob meiner Schusseligkeit
mit tm3 …
Von
Sachen, die Diavoli heißen, lasse ich fortan tunlichst die Finger.
Das letzte Mal aß ich Pizza dieses Namens. Ich orderte so ein
Teil mit nur gesunden Sachen drauf, Peperoniwurst, Chilischoten,
Cheyennepfeffer, Tabasco … Nicht daß ich mich im geringsten um
meine verätzten Geschmacksnerven scheren würde – aber ich fing
so dermaßen an zu ölen! Das kommt echt nicht gut in der Öffentlichkeit,
zumal wenn man in der Gesellschaft einer netten Dame ist. Also,
nix diabolix; es sei denn ich sitze gerade in der Badewanne. Und
darin sitze ich nie, weil ich zu groß bin.
Zum Thema Ravioli Diavoli schreibt übrigens das Fachblatt
»Maggi Kochstudio Magazin«: »Dieses Gericht schmeckt sogar kalt:
eine Variante, nicht zuletzt für Jugendliche, für die Maggi Ravioli
›Kult‹ sind, und die nach einer ›Rave‹-Party im Morgengrauen Ravioli
kalt aus der Dose essen.« Auch Kult für Langzeitstudis, denen
man schon lange den Strom abgestellt hat … Doch man höre: In meinem
Studium habe ich nachweislich nur einmal Ravioli gegessen!
Ob die jetzt mein Diplom wieder kassieren …?
Was müssen meine geröteten Augen da lesen? Kurti Müller gibt
auf, schmeißt das Handtuch, gibt den Löffel ab?! Das kann er doch
nicht tun! Eine Gerolsteiner Institution, wohl wahr, und weite
Teile meiner Jugend noch dazu und unerschöpflicher Quell zahlloser
Vergnüglichkeit! »Haben Sie mal einen doppelt gemufften Flipflop,
Frau Müller? Das ist ein Bi-Zehner!» Oder: »Soll ich dem Merkelbach
sagen, er soll uns ein Flasche Bier ins Haus bringen, Kurti?«
Freitag, 04. Mai 1999
Hallo Journalisten! Spinnt Ihr jetzt total?! Eurer Berichterstattung
zufolge könnte man glatt meinen, der Milosevic liefe mit Blumen
im Haar durch die Gegend, nur weil er angedeutet hätte, den Vertrag
unterschreiben zu wollen, den er auch schon vor 10 Wochen hätte
unterschreiben können und so seinem Volk eine Menge Ärger erspart
hätte. Um es klar zu sagen, Journaille: Der Krieg ist noch nicht
vorbei! Das merkt man schon daran, daß die NATO tapfer weiter
Angriffe fliegt!
Mittwoch, 09. Juni 1999
Boah ey, ich krieg zuviel! Beziehungsweise zuwenig. Schlaf nämlich.
Kann ich allergiebedingt schon nur total mies schlafen, piesacken
mich hier die Stechmücken allnächtlich. In Burtscheid hatte ich
in 5 Jahren weniger Feindkontakt als letzte Nacht hier in AC-City.
Ein Leben ohne Fenistil ist gar nicht mehr denkbar. Ich dachte
immer, ich säße am Ende der Nahrungskette. Jetzt gehe ich
Gift kaufen und Chemie! Und wenn die nix gegen Mücken haben, nehme
ich eins für mich. Bhopal war ein Klacks dagegen. Vielleicht hänge
ich auch belgisches Hühnerfleisch an die Decke, auf daß die Brut
verrecke. (O.K., O.K., ich habe ätherisches Lavendelöl gekauft
…)
Das sollten die Grünen auf ihrem nächsten Parteitag übrigens mal
beschließen: Wenn schon Waffen, dann biologische!
Auf Anraten eines guten Freundes rücke ich den Mücken jetzt auch
per Staubsaugi zuleibe …
Und
als wäre das noch nicht genug, fingen heute morgen um 06:15 Uhr
(!) Handwerker an, am gegenüberliegenden Geschäft Marmor von der
Fassade zu flexen. Ich brauche einen Waffenschein! Da hört’s doch
auf! (O.K., die fangen erst an …) Aber ich habe jetzt 4 Baustellen
im Radius von 50 Metern.
Ein Gutes hat’s wenigstens: Seit 1 ½ Wochen kein Musikant weit
und breit.
Hey, auf den TL-Pages ist ja der Teufel los: Ich donnere mit
Gewalt auf die 100x2 Eyeballs los, heute stand schon 96 auf dem
Zähler. (Jenem Zähler von GoWeb, welchem ich unterstelle, bisweilen
seinen Dienst zu versagen!) Da gibt es langsam mal Zeit für ein
Redesign und einen zünftigen Relaunch.
Freitag, 11. Juni 1999
Wir kriegen tatsächlich Frieden? The foes have met their fate?
Ich glaub’s ja noch gar net. Sieht aber ganz danach aus. Danke,
Joschka. Die Waffen schweigen, nach 11 Wochen und 11 Milliarden
DM. Bin gespannt, ob Milosevic sein Verbrechen, äh Versprechen
diesmal hält. Die Kapitulation verkauft er seinem Volk ja als
glorreichen Sieg mit ihm als Friedensengel. Das dicke Ende kommt
bestimmt noch: Wenn wir als Friedenstruppe da reingehen. Vielleicht
kriegen wir dann doch noch den Bodeneinsatz. Sowieso ist höchst
zweifelhaft, ob die Kosovaren ihre Schlächter so einfach ziehen
lassen …
Passend zum Ausklang des Krieges lieh ich mir »Wag the Dog« auf
Video diesmal den richtigen! , dazu gab’s original
Spareribs und die gute alte Cherry-Coke. Das ist jener Film, in
dem ein fiktiver Krieg gegen Albanien (wie apart! »Warum gegen
Albanien?! Waren die jemals gegen uns?« – »Waren sie denn jemals
für uns …?«) geführt wird, um von sexuellen Vorwürfen gegen den
Präsidenten der U.S. of A. abzulenken. Wer schrieb da wohl das
Drehbuch? Das Leben persönlich?
Desweiteren sah ich »The Wedding Singer«, eine nette kleine Liebeskomödie,
die mitten in den 80ern spielt. Those were the days. Die Klamotten
und die Musik original wie in meiner Jugend. Ist ja auch schon
um die fuffzehn Jahre her. Ich sollte mir doch vielleicht mal
eine CD-Collection mit den besten 1500 Hits der Eighties kaufen
…
Samstag, 12. Juni 1999
Das Volk auf der Straße übertreibt’s. Ohnehin ist ein reibungsloses
Durchkommen schwer, ständig wird man belämmert mit irgendwelchen
Flyern und Wahlpropaganda, soll hier und da und dort für gute
Zwecke unterschreiben. Die wahre Pest sind aber die Habnsemalnwenigkleingeld-Nuschler.
Normalerweise sage ich ja noch höflich aber entschieden »Nein!«,
doch eine von diesen Gestalten (siehe oben) geht mir gehörig auf
den Sender. Es sollte sich jeder schon einen verdammt guten Grund
ausdenken, mich einfach so anzusprechen. Ich muß da halt häufiger
lang – er sollte mich eigentlich kennen –, so entbot ich ihm beim
dritten Mal ein bösartig gezischtes »Du nervst!«. Ob’s was bringt?
Zur
Zeit haben auch alle Parteien einen Wahlstand aufgebaut. Eigentlich
eine prima Gelegenheit, sich mal wieder mit reichlich Kulis und
Bleistiften einzudecken. Auch mancher Promi läßt sich in die Niederungen
der Provinz herab. Den Vogel abgeschossen hat aber Gregor Gysi,
Spitzname »IM Notar«, welcher am 16. in die Stadthalle Stolberg
kommen wird. Vielleicht sollte denen mal einer verraten, daß die
Europawahl schon am 13., also morgen ist!
Montag, 14. Juni 1999
Nur noch 200 Tage bis zum Millennium. PANIK!!! (Ich hatte es
schon fast vergessen, gähn.) McDonald’s bietet jetzt ja eine Millennium-Countdown-Uhr
an. Wer’s braucht …! Zum Knüllerpreis von 9,99 Mark. Cleverer
wäre ja 19,99 gewesen …
Dienstag,
15. Juni 1999
Jetzt, da ich dies schreibe, sitze ich mitten im Klangdiamanten
von 3 Baustellen im Umkreis von 50 Metern. Und – ganz aktuell
– durch die Wand vom Nebengebäude (nein, nicht der katzenfreundliche
Musikfreak, der auch gerne mal auf seinem Balkon grillt; die andere
Seite) dringt auch der liebliche Klang von Schlagbohrern und Flexen.
Es klingt, als reißen die die Heizkörper raus.
Nun frage ich mich: Stelle ich mich an? Leide ich unter Verfolgungswahn?
Oder wechseln sich die Nervtöter hier wirklich ab?! Kaum sind
die Musikanten verschwunden, entsteht hier nach Berlin die größte
Baustelle der Republik.
Die letzte Nacht war die erste ohne Mückenplage seit Menschengedenken.
Mein Lavendelduftöl ließ die Plagen ja kalt, so bin ich auf High-Tech
umgestiegen: den NexaLotte© Pflanzenöl-Plättchenverdampfer für
die Steckdose. Allein wegen dem Namen verböte sich ja eine Benutzung,
aber: Es hilft! Es wirkt »auf der Basis natürlicher Pflanzenöle
gezielt und zuverlässig gegen Stechmücken durch Einwirkung auf
den Chitinpanzer«. Alles pure Natur. Ja, und wenn reines E 605
drin wäre! Mir doch egal. Ein weit herumgekommener Weltenbummler
berichtete von hervorragenden Erfahrungen aus Indien: Man konnte
quasi die Mosquitos von der Decke fallen sehen. Vielleicht sollte
ich mal mit Licht an schlafen und mir das Schauspiel ansehen …
Einen Nachteil hat das Zeug jedoch: Es riecht etwas streng. Und
ich führe meinen dicken Kopf heute Morgen darauf zurück. Wo ist
mein Aspirin?!
Mittwoch, 16. Juni 1999
Was ist denn mit den Belgiern los? Erst verseuchen sie ihre Hühner
und Eier mit Dioxin und nun kommen belgische Coca-Cola-Produkte
auf den Index. (Von den vergewaltigten Dutroux-Kindern und den
abgeschlachteten Pfarrhausopfern will ich ja gar nicht reden.)
Zum Glück ist meine Colasucht geheilt, ich trinke nur noch Vanillemilch
und Apfelschorle. Coke braucht gar keine Produkterpresser, die
machen das schon selber. Dioxin wird diesmal wohl nicht der Grund
der Beanstandung gewesen sein, das ist doch ein wesentlicher Bestandteil
der Geheimrezeptur … Jetzt muß ich schnell noch einkaufen gehen,
bevor hier hungernde Belgier einfallen wie die Heuschrecken.
Donnerstag, 17. Juni 1999
Formerly Tag der Deutschen Einheit. Aber den mußte man ja ausgerechnet
in den kalten Oktober verlegen …
Eine andere Art Straßenkünstler macht sich jetzt breit: Straßenmaler.
Die sind ja zum Glück leise. Die Idee hatte ich auch schon mal,
im Scherz sagte ich zu Stephie, ich könne ihr ja mal ein Kunstwerk
auf den Boulevard kreiden. Andere Leute haben schließlich auch
Blumen im Vorgarten.
Heute startet der Film »The Matrix«, man hört und liest nur Gutes
davon, sowohl was Plot und Effekte angeht. Und also werde ich
gleich um 1400 CEST in die erste Vorstellung gehen –wieder voll
dekadent –, und erwarte ein leeres Haus.
Wird es jetzt zur Mode, bei Zahlen zwischen 10 und 19 das Dehnungs-H
wegzulassen?! Man könnte es fast meinen, wenn man sich die Nachrichten-Vorlese-Automaten
anhört, die womöglich denken, jetzt besonders korrekt zu sprechen
. Oder um es phonetisch auszudrücken: Sie sagen statt
einfach
als
wäre es ein gottverdammtes Verb: »Ich werde Dich gleich siebzen!«
– – –
Later
on that day. Nun war ich im Kino und habe mir »The Matrix« tatsächlich
angeschaut. Ich vergaß, daß ab heute in NW Sommerferien sind,
daher war es doch nicht ganz so einsam im Lichtspielhaus. In der
14-Uhr-Vorstellung, vergnügungssüchtiges Pack! War aber genug
Platz trotzdem. Es war sogar eine Frau (!) anwesend – die ist
bestimmt ihm zuliebe mitgegangen. Und wie wahr: Auf dem
Rückweg mußte er ihr alles erklären …
Der Plot ist auch gar nicht so einfach zusammenzufassen, aber
ganz pfiffig, jedenfalls zu Anfang. Eine bunte Mischung aus »Alien«,
»Terminator«, »Strange Days«, »Tron« und diverser Restschnipsel.
Aaalso: Die Menschen werden von Maschinen als Sklaven gehalten
– es lebe KI –, und das, was die Menschen für die Wirklichkeit
halten, ist nur ein Computerprogramm, also Projektion. Aber das
war ja eigentlich klar! Und die Menschen merken das natürlich
nicht – no surprise is there –, das wär ja mal was ganz neues.
Außer ein paar auserwählter Helden, versteht sich. Und die müssen
dann die Welt retten, gähn.
Neben den wirbeligen Effekten fährt auch die Philosophie Achterbahn.
Und am Ende spielt auch noch der Computer verrückt … neiiin, der
nun nicht. Mit weiteren Details verschone ich meine werte Leserschaft,
schaut es Euch selber an!
Sonntag, 20. Juni 1999
Heute ist also die kürzeste Nacht des Jahres. Also, bye-bye Sommer:
Ab jetzt werden die Tage wieder kürzer
Nun
hat Coca-Cola schon den PR-GAU, da gießen sie noch Öl ins Feuer
und plakatieren auf Litfaßsäulen »Erfrischung ohne Grenzen«, tz.
Im Laden unten hängt auch ein fragwürdiges Schild im Schaufenster.
Wie bekannt, verkaufen die neben normalem Bürobedarf auch exquisites
Schreibgerät. Laut Aushang haben sie jetzt »Auslaufmodelle« von
Parker und Waterman im Angebot. Ob sie die Füller wohl
loswerden …?
Mittwoch, 23. Juni
Du meine Güte, wer, bitte, hört denn da den ganzen
Abend Pur, und zwar so was von laut? Ooops, das sind sie ja selbst,
heute ist ja Open-Air auf dem Katschhof