Mittwoch, 2. August 2006
Hinweis für spätere Generationen: 2006 wird in
die Annalen eingehen als das Jahr, in dem der Sommer sooo
nass war. Eine prima Gelegenheit also für lange vernachlässigte
hausmännliche Pflichten: Frühjahrputz! (Eva Herman
würde sich im Grabe rumdrehen.) So mit Fensterputzen
und Polstersaugen und Knös aus den hintersten Winkeln
rauskratzen und vertrocknete Pflanzen wegschmeißen und
verstorbene Haustiere entsorgen, das ganze Programm halt.
Nun kann man wieder vom Boden essen. Und satt werden.
Freitag, 4. August 2006
Ich hatte doch letztens von einer anderen Geschichte erzählt,
die ein anderes Mal erzählt werden sollte. Jetzt wär
es dann so weit. Sie trug sich zu, bevor ich auch nur an ein
Online-Tagebuch zu denken vermochte. Damals googelte man noch
mit Altavista. Und damals sprach man auch noch nicht vom Internet,
sondern nur von der »Datenautobahn«. (Die ja laut
Kanzler Kohl wie das ganze Fernverkehrswesen Ländersache
bleiben sollte …)
Wie schon angelegentlich erwähnt – ich hoffe,
es nervt noch nicht – schätze ich die Musik von
Del Amitri sehr, weil sie schon mehr als einmal das Leben
gerettet haben. Seit ihrem ersten Hit »Nothing ever
happens« im Jahre 1989 sind die Dels leider nie über
den Geheimtipp-Status hinausgekommen. (Wohingegen es andere
Gurkentruppen mit einem ziemlichem Blech an die Spitzen der
Charts geschafft haben. Aber darum geht's jetzt nicht.)
Am 1. Juni 1995 hatten sie einen ihrer wenigen Auftritte
in Deutschland, in Bielefeld, in einer kleinen Halle namens
Hechelei. Als Fan(atiker) setzte ich mich also mittags geduldig
in den Interregio quer durch NRW, um durch dieses Zeitpolster
mehr als zu früh anzukommen. Es stellte sich bald heraus,
dass das gar nicht mal verkehrt war: In der Nähe der
Halle standen zwei britische Reisebusse mit getönten
Scheiben – die Dels mit ihrer Entourage. Na, dann wollte
ich doch mal schauen, ob ich nicht einen verstohlenen Blick
auf die Künstler erhaschen könnte. Hinter den Bussen
war eine Wiese, auf der ein paar junge Männer mit vollem
Einsatz einen Fußball übers feuchte Grün droschen.
Ach, dann schau ich denen mal ein Weilchen zu, dachte ich.
Aus dem Weilchen wurde ein Stündchen oder mehr, weil
einer der Bolzer Justin Currie war, der Sänger! Seine
Partie mit den Roadies war eines der besten Fußballspiele,
das ich je gesehen habe, denn ich war fast der einzige Zuschauer
und durfte gelegentlich einen fehlgeleiteten Ball zurückschießen.
(Damals war meine Ballkontaktallergie kurzzeitig therapiert.)
Leider existieren davon keine Photos.
Das Konzert war natürlich großartig. Nachdem
ich ihn nachmittags verschwitzt in kurzen Hosen mit grünen
Knien gesehen hatte, kam er mir abends auf der Bühne
verschwitzt im Rockmusikeroutfit wie ein alter Bekannter vor.
(Die Erinnerung an diese intimen Erlebnisse versüßten
mir die Rückfahrt, stehend. Denn der erste – restlos
überfüllte – Zug fuhr erst um vier Uhr am
Morgen. Und Bielefeld bei Nacht kann ganz schön hart
sein.)
Das zweite Mal sah ich die Dels 1996 bei einem Auftritt im
Kölner Alten Wartesaal. Und dann nochmal beim Rheinauenfestival
1997, davon gibt es sogar Photos. Die Ähnlichkeit mit
Ray Wilson ist frapant, sowohl auditiv als auch visuell. Irgendwie
stehe ich wohl auf schottische Rockmusiker.

Samstag,
5. August 2006
Ich hoffe, dass sie dieses Bauhaus
Europa endlich bauen – oder eben nicht bauen. Denn
seit Monaten plärrt so ein Bekloppter von der Gegen-Initiative
unter meinem Fenster jeden Samstag lang seine plumpe »Glasbaustein«-Polemik
in die Einkaufsstraße.
Montag, 7. August 2006
Ich wollte mich einstweilen einer einschlägig bekannten
Lokalität, die mit dem häufigsten Vokal der deutschen
Sprache beginnt, fernhalten, um mich mehr Kunst und Literatur
zuzuwenden. Allein, aus meiner selbstverordneten Eremitage
wird vorläufig nichts: Weil ich neuerdings – wie
fast alle – wieder ICQ
habe, somit nie mehr alleine bin und mich regelmäßig
festchatte.
Dienstag, 8. August 2006
Überraschender – und lange nicht gesehener –
Besuch. Wie passend, dass ich letzte Woche die Bude gefeudelt
habe. Gut, die Polster musste ich anschließend erneut
saugen, denn es war vielleicht ein Fehler, meiner minderjährigen
Freundin erst Kekse anzubieten und sie dann auf der Knautsch
rumhopsen zu lassen …
Sie hatte auch viel Spaß mit meiner mittlerweile recht
ansehnlichen Plüschi-Parade, Goleo, Thomaskuh, Tigger,
Leo, Philipp und Karli.

Donnerstag, 10. August 2006
Frau Ke. und Herr Nüls sind wieder aus dem Urlaub
in Chinesien zurück.

Samstag/Sonntag, 12./13. August 2006
Happy Birthday, Helge!
Wir Mädels hatten heute unseren laaange ins Auge gefassten
Gilmore-Girls-Abend: Etliche Folgen dieser herrlichen Fernsehserie,
deren Reiz sich richtigen Männern wohl nie erschließen
wird, am Stück im originalgetreuen Ambiente, jedenfalls
was die Fressalien anging. Wie Rory und Lorelai haben wir
nix selbst zubereitet, sondern auf Berge von Fertigfutter
zurückgegriffen: Parallel wurden Bringdienste aus Italien
und China mit langen Bestelllisten behelligt, Spezialitäten
der Firmen Haribo und Chio verkostet, die Verdauung mit Ben&Jerry's
Eiskrem gedopt und das körpereigene Schokoladendepot
mit Brownies ausstaffiert. Das ganze wurde dann mit Bier runtergespült,
mit Kaffee verdünnt und mit Hochprozentigem neutralisiert.
(So ein Magen wollt ich nicht sein …) Tief in der Nacht
kamen dann unsere Männer dazu, um Schlimmeres zu verhindern.

Montag,
14. August 2006
Sommerfete des ITA.
Fete war gut, Sommer nicht. Interessante Geräte gesehen
und neue Erkenntnisse von internationaler Tragweite gewonnen:
Wer hätte gedacht, dass man in der Junkfood- und Peanut-Nation
USA keine Erdnuss-Flips kennt?!
Mittwoch 15. August 2006
Krass: Günter Grass war in der SS.
Man hätte es sich denken können: SS war ja schon
länger in Grass …
Dem unbändigen Drang, sinnvoll Geld rauszuschmeißen
(statt die Kalauerkasse zu füllen), nachgegeben habend
beSITZe ich nun einen Sitzsack. Es ist zwar kein Originaler
von »fatboy«. (Nun sag keiner, dass das eher passen
würde! – Das hat ja auch keiner? – Es wollte
aber!) Und er hat auch nur Nylon drumherum und Styroporkügelchen
innen drin, aber reinsetzen – und niiiiiiiiiiiemehr
aufstehen wollen. Giftigst grün, damit er zur roten Knautsch
und zum blauen Teppich passt. (Besuch bei mir sollte tunlichst
eine Extra-Portion Melanin dabeihaben.)
Mittwoch, 16. August 2006
Entscheidungen zu fällen ist einfach. Sie akzeptieren
ist schwer. Manchmal hat man eine Entscheidung schon längst
getroffen – sie gefällt einem bloß nicht
…
(Das muss nicht jeder verstehen.)
Donnerstag, 17. August 2006
Nach Kletterhalle und Malaktion und Museum (einmal im Leben
sollte man in einem gewesen sein) heute Ausflug zur Müllverbrennungsanlage
Weisweiler. Tjaha, wir bieten unseren Lehrgangsteilnehmern
schon was!
Ich weiß zwar nicht, ob die thermische Verwertung der
Weisheit letzter Schluss ist, aber die Anlage war imposant.
Was mich am meisten beeindruckt hat: An welchen Sinneseindruck
denkt man wohl als erstes beim Stichwort MVA? Richtig, an
bestialischen Gestank. Doch auf dem ganzen Gelände riecht
es aufgrund ausgeklügelter Technik nicht so schlimm wie
unsere Mülltonne im Hausflur an einem lauen Sommertag!
Freitag, 18. August 2006
Ich will hier zwar nicht übermäßig dienstlich
werden – aber ich muss. Denn meine Teilnehmer machen
mich wahn-sinn-ig! Ja, genau, die eben noch erwähnten,
von allerlei Rahmenprogramm verwöhnten! Man stelle sich
eine Mischung aus den allnachmittäglichen Seifenopern,
Talk- und Gerichtsshows vor: Das hab ich täglich
live und in Farbe und in Dolby Surround.
Kostprobe: Die eine Schülerin sagt, dass sie von der
andern gehört hat, dass noch eine andere dies und das
gesagt haben soll. Und dann wird ein gruppendynamisches Fass
aufgemacht: Koalitionen bilden, Ränke schmieden und sich
gegenseitig mobben. Wegen so Kinkerlitzchen wie verletzter
»Ehre« machen sich die jungen Menschen das Leben
schwer, nee. Ob man da psychopharmakologisch rangehen sollte?
Oder mit Stromstößen?
Wenn ich dann wieder mal als Kriseninterventionskraft gefragt
bin, lehne ich mich manchmal entspannt zurück und stelle
mir vor, ich sitze in einem Film. In einem ganz schlechten
zwar, aber immerhin.
Heute war die eine Teilnehmerin ganz fürchterlich beleidigt,
weil eine andere sie »Schlampe« genannt haben
soll. Sie erwartete von mir wohl moralischen Beistand, dass
ich mich ebenfalls entrüste und die Schuldige mit aller
Härte zur Rechenschaft ziehe.
Ich fragte sie aber nur trocken: »Und? Sind Sie
eine?«
Sonntag, 20. August 2006
Wo's wahrhaft wieder Winter wird, gab's heute die erste Weihnachtsfeier
der Saison. Korrekt gesagt die letzte der letzten Saison.
Denn in der Gastronomie wird ja gearbeitet, wenn andere feiern
und so muss halt der Sommer herhalten. Die Vorteile liegen
auf der Hand: Kein Tannengrün, keine süßliche
Musik, keine Printen. Stattdessen Fetenstimmung, süffigen
Wein und erstklassige Paella im Canarias:

Donnerstag, 24. August 2006
»Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere
Neun …« Jaul, nächsten Sonntag muss er
sich was
anderes ausdenken.
Freitag, 25. August 2006
Erster
freier Tag seit Monaten. Nach Jahren, eigentlich Jahrzehnten,
war ich mit einer ähnlich Kunstbegeisterten nochmal auf
Kultour: beim »Erfinder der Romantik« Caspar David
Friedrich im Museum Folkwang in Essen. Zum Glück hat
man die Ausstellung um zwei Wochen verlängert.
Worte können die Eindrücke bei weitem nicht beschreiben:
Die Ausstellung war einfach toll! Es über kamen mich
sofort Ruhe, Stille, Besinnlichkeit, Erinnerungen –
und die Lust, selbst wieder zu malen. So viele Bilder von
CDF auf einen Haufen! Ein paar habe ich schon mal vorher »in
echt« gesehen, in der Hamburger Kunsthalle zum Beispiel.
Sie nun in Essen wiederzusehen ist wie alte Bekannte wiederzutreffen.
Außerdem kennt man die meisten ja ohnehin aus Funk und
Fernsehen und Kunstunterricht. (Wobei diese miesen Drucke
nicht an die Brillanz der Originale heranreichen.)
CDF hat für jeden was zu bieten: Man kann die Gemälde
einfach nur schön finden – und fertig! Man kann
über den Landschaften meditieren und sich in den Bann
ziehen lassen, man kann sich mit den dargestellten Figuren
identifizieren, man kann die Handwerkskunst bewundern, man
kann die formale Gestaltung analysieren, man kann Symbole
und Anspielungen ergründen, man kann die Motive politisch-historisch
einordnen – oder am besten alles zusammen machen!
Es wurden gar nicht so viele wuselige Schulklassen durch
die Hallen geschleust, wie ich befürchtet hatte. (Den
Kunstgenuss störender waren die zahlreichen Senioren,
die gelegentlich mit der Nase auf den Bildern hängen
mussten – egal ob dadurch 20 andere Besucher nix mehr
sahen.)
Anschließend schauten wir uns noch ein bisschen Essen
an – wer hätte gedacht, dass diese Stadt so nette
Ecken hat.
Nach soviel schönen, anregenden Dingen überkamen
uns fleischliche Gelüste, denen wir sogleich nachgaben.
Bei Maredo.
Ich beschäftige mich in letzter Zeit eine Menge theoretisch
mit dem Glück. (Zum Beispiel mit dem hervorragenden Buch
»Ins Glück stolpern«, über das ich an
gleicher Stelle referieren werde, wenn es ausgelesen ist.)
Glück ist flüchtig, und meistens merkt man erst,
dass man glücklich war, wenn es schon vorbei ist.
Doch auf der Rückfahrt – meine Begleiterin schlief
– fühlte ich mich auf magische Weise so glücklich
wie lange nicht mehr! (Right here, right now: Ich habe den
Gefühlsrekorder sicherheitshalber mal auf Aufnahme geschaltet.)
Samstag, 26. August 2006
Zu klein, zu groß, klappt nicht – die »Bravo«
wird 50.
Sonntag, 27. August 2006
Weil es ja nichts Traurigeres gibt, als alleine zu kochen
und zu essen, tagte heute der Kochclub, … und der Sitzsack
erfreute sich größter Beliebtheit beim Verdauungsschläfchen.

Moet jij niet op school zijn? 
Montag, 28. August 2006
Tz, schon wieder: Ȁltester
Mensch der Welt gestorben.« Wie oft wird der wohl
noch reanimiert?!
Mittwoch, 30. August 2006
Ik will op Nederlands praten. – Dag, ik ben Thomas.
– Prettig met u kennis te maken. – Ik woon in
Aken. – Kunt u dat spellen?
»Ich wäre auch gerne
mal die Brandung«,
sagte der Fels. |