Da wir an unbehandeltem Helfersyndrom im Endstadium leiden,
war es uns süße Pflicht, bei dem Umzug anzupacken, der heute
anstand. Klar, dass man angesichts der Lage an der Börse der
Traditionsweltmacht USA aus der Wallstr. raus will …
(Angesichts der um sich greifenden Bankenkrise kann man fast
froh sein, wenn man kein Geld hat.)
Freitag, 3. Oktober 2008
Heute vor zwanzig Jahren war ich zum ersten Mal in Aachen.
Anlässlich eines der beliebten Wandertage, bei denen meist
weniger gewandert als vielmehr per Bus durch die Gegend gejuckelt
wurde, verschlug es unseren Bio-Stammkurs in die »Kaiserstadt«,
wo unser Lehrer mit zu Studienzeiten erworbener Ortskenntnis
glänzen konnte. Dass ich hier dereinst für länger landen sollte,
konnte damals noch niemand ahnen, am wenigsten ich selbst.
Nach bravem Abarbeiten der einschlägigen Touri-Ziele bekamen
wir, wie es allgemein üblich war und ist, den Rest des Tages
zur freien Verfügung. (Nachdem ich mittlerweile ebenfalls
schweißgebadet und heiser mit etlichen hormonell überversorgten
Schülergruppen in Museen und Sehenswürdigem unterwegs war,
weiß ich, was das für eine Erleichterung für den Lehrkörper
gewesen sein muss.) Diese freie Zeit wurde im Groben zu zwei
Zwecken genutzt: McDonald’s und Plattenläden. Wobei: Diesmal
musste McD. auf fetten Umsatz verzichten, denn wir kehrten
in ein chinesisches Restaurant ein. Für den Eifler Adoleszenten
der späten Achtzigerjahre war chinesische Küche der Gipfel
der bezahlbaren Exotik.
(Das Lokal lag am Anfang der Pontstraße und würde sich ein
paar Jahre später zu einer der angesagtesten Lokalitäten gewandelt
haben, die Insider Wohnzimmer nennen und der Rest der Welt
Café Egmont!)
Warum ich noch weiß, dass es genau heute vor zwanzig Jahren
war? Nun, als ich meiner zweiten Leidenschaft nachging – Plattenläden
nach LPs (schwarz, rund, rillig) durchforsten, nach ausgiebiger
Prüfung schließlich erwerben und zuhause die nächsten drei
Wochen so oft nacheinander auf dem Plattenteller rotieren
lassen wie heute sonst nur Roxette auf WDR2 (das kann sich
im Zeitalter von eMule kein Mensch mehr vorstellen) – kam
die Nachricht im Radio: Franz Josef Strauß war gestorben.
Dieses Datum ist ja heuer wieder in aller Munde.
Für
die später Zugeschalteten: Franz-Josef Strauß war ein halsloser,
aber machtvoller bayerischer Ministerpräsident, absolutistischer
Kinni und auch sonst recht umtriebiger Politiker, der zwei
Dutzend Kabarettisten Lohn und Brot und fette BMWs sicherte.
Ihm zu Ehren wurden auch große afrikanische Laufvögel, harmonisch
arrangierte Blumenbouquets und eine österreichische Walzerkomponistensippe
nach ihm benannt …
Nach dem Regnum Seiner erhabensten Magnifizenz FJS ging's
mit Bayern jedoch transrapide bergab:
Der 3. Oktober ist ein Feiertag aus ganz anderem Grunde.
Die Wiesn-Maß kostet heuer 8,30 Euro.
Man darf nur noch zwei Maß trinken, um noch als fahrtüchtig
zu gelten.
Ein CSUnami verheerte bei der letzten Wahl die Grundrechenarten: 50 + X = 43
Der Parteivorsitz der CSU wechselt mit sozialdemokratischer
Frequenz.
Der FC wird von Bremen 2 zu 5 abgewatscht.
Marx ist Erzbischof von München und Freising.
Ein Bayer ist nur Stellvertreter Christi auf Erden.
Samstag, 4. Oktober 2008
Geldende
Dem Sparer fliegt davon sein Hab und Gut,
in allen Banken hallt es wie Geschrei.
Anleger stürzen ab und gehn entzwei
und Analysten – liest man – kocht das Blut.
Der Crash ist da, die wilden Kurse hupfen
zu Tal, um faule Aktien zu zerdrücken.
Die meisten Zocker haben einen Schnupfen.
Der Kapitalismus geht an Krücken.
(Der billige Jakob, 2008, Frühwerk des Postkapitalismus’)
Krise, Not, Unheil, Debakel, Verhängnis, Übel, Desaster,
Tragödie, Niedergang, Fiasko, Zusammenbruch, Untergang, Ruin,
Katastrophe – dieser Tage schwappt die US-Finanzkrise endgültig
an fremde Gestade, so dass die ganze Welt auch etwas davon
hat. (Island zum Beispiel ist bereits pleite und kann bei
Ebay günstig ersteigert werden. Nur: Wohin damit?)
Ich selbst verliere zur Zeit auch jede Woche zig Millionen
bei riskanten Transaktionen mit hochspekulativen Wertpapieren!
Im Lotto …
Die Märkte sind marode und die Investmentbanker wechseln
von der Anlagebank zur Anklagebank. Früher richtete das Nötige
der Markt, heute wird der Markt gerichtet. Es heißt, ein so
stattliches wie staatliches Rettungspaket von 500 Milliarden
soll geschnürt werden, um notleidenden Banken zu helfen. Nanü?
Der Herr Steinbrück hat noch soviel überzählige Steuern im
Sparstrumpf gefunden? Wo waren die Milliarden denn, als es
um Kinder, Bildung, Hunger, Umwelt und Gesundheit ging?! Ach
so, das Geld ist nicht wirklich da, es handele sich bloß um
Bürgschaften. Virtuelle Knete. Dann herzlich willkommen in
der nächsten Blase.
(Aber man muss ja etwas tun, aus Humanität und Gründen der
Ästhetik: All die Ein-Euro-Banker in zerschlissenen Nadelstreifenanzügen
auf Parkbänken und unter Brücken, nur notdürftig zugedeckt
mit wertlos gewordenen effektiven Wertpapieren, wären kein
schöner Anblick. Und wovon sollten sie sich auch ernähren?
Bei den Tafeln gibt es nur selten Canapés und Prosecco mit
abgelaufenem MHD im Angebot.)
Den Rotkäppchen von der Linken geht doch zur Zeit bestimmt
einer nach dem anderen ab, oder? Doch von Sozialismus zu sprechen,
trifft nicht ganz zu: Im Sozialismus wird erst verstaatlicht
und dann ruiniert – im Kapitalismus ist es andersrum.
Wie weitreichend die Auswirkungen sein werden, weiß im Moment
noch niemand. Bestimmt gibt’s einen fetten, fetten Eintrag
bei der Schufa. Ein Quantum Trost kann sicher nicht schaden.
Ein Quantum Galgenhumor auch nicht. Stellen wir uns schon
einmal darauf ein, dass in nächster Zeit immer das Zauberwort
Finanzkrise fallen wird, wenn unbeliebte Maßnahmen
begründet werden sollen, wie das jetzt schon bei Klimawandel,
Elfterneunter, Acrylamid und Demografie
der Fall ist.
Sonntag, 5. Oktober 2008
Anfang der 1990er hat David Lynch die Krimiserie neu erfunden.
Bis dahin war es üblich, dass pro Folge ein Kriminalfall gelöst
und ein Herz gebrochen wurde. Bei »Twin Peaks« zogen
sich die Rätsel jedoch über etliche Folgen hin. Im Prinzip
ging es um die Aufklärung des Mordes an Laura Palmer durch
den FBI-Agenten Dale Cooper – aber währenddessen entspann
sich ein Knäuel von weiteren Handlungssträngen.
Normalerweise ist Mystery nicht mein Genre, aber die Phantastik
von Twin Peaks war nicht von solch einer Beliebigkeit wie
in manch nachfolgender Serie. Und sie war auch nicht die Hauptsache.
Den größten Reiz machte der Mikrokosmos an abgründigen Gestalten
in der vermeintlichen Kleinstadtidylle aus, die man schnell
ins Herz schloss.
Leider hat RTLplus es damals fertiggebracht, sehr
unregelmäßig zu senden – und die Serie kurz vor dem Ende einzustellen!
Wochen später ging es dann bei Tele5 weiter, dessen
man natürlich viel zu spät gewahr wurde, so dass sich da hässliche
Lücken im Kontinuum auftaten. Wie schön, dass es jetzt DVDs
gibt! Ohne dämliche Teaser, die vieles schon im Voraus verraten,
oder Reklame, die einen aus der düsteren Atmosphäre reißt,
kann man das ganze Werk fast en bloc ansehen. Das haben wir
in den vergangenen Wochen getan – ein Hochgenuss.
Natürlich wollte ich den original Twin-Peaks-Kirschkuchen,
wie er im Double-R-Diner – mitsamt verdammt gutem Kaffee –
angeboten wird, nachbacken und recherchierte im ganzen Internet
nach dem Rezept. Ich konnte auch etliche Backanleitungen ausfindig
machen, deren Autoren jedoch allesamt voneinander abgeschrieben
haben. Anscheinend hat keiner den Kuchen je gebacken, die
Rezepte sind textlich nämlich etwas spröde und lieblos bis
widersinnig übersetzt. (Angaben wie es in Angelsachsen üblich
ist in »cups« – wie bitte soll man eine halbe Tasse Butter
abmessen? Warum gefrorene Kirschen verwenden, wenn man frische
nehmen kann? Und was sollen 2/3 einer Messerspitze Salz sein?!).
Nun, langer Rede kurzer Sinn: Jetzt gibt es ein funktionelles
Rezept in verständlicher deutscher Sprache, dass einen verdammt
guten Kirschkuchen
à la Twin Peaks hervorbringt. (Bei Google schon auf Platz
8!)
Montag, 6. Oktober 2008
Frau Merkel beschwichtigt uns: »Die Einlagen sind sicher.«
Kennt man ja noch von der Blümschen Rente, die war ja auch
mal sicher. Oder sind diese Einlagen gemeint:
Orthopädische Einlagen gegen Spreiz-, Senk-, Hohl-,
Platt-, Spitz- und Knickfuß?
Suppen-Einlagen in Form von Wurzelgemüse, Griesklößchen,
Croûtons und Eierstich?
Slapstick-Einlagen in Form von verlegenem Wedeln
mit der Krawatte, Ausrutschen auf einer Bananenschale und
dem Werfen von Sahnetorten?
Slip-Einlagen, die die Regel fast da auffangen,
wo sie passiert?
RTL2 – das sich in den letzten Jahrhunderten nun nicht gerade
durch hohe Qualität hervorgetan hat – bringt zur Zeit montagsabends
hintereinanderweg zwei neue Fernsehserien. Eigentlich wollte
ich mich ja auf keine weiteren Serien einlassen – Zeiträuber!
»Californication« und »Dexter« sind aber recht
sehenswert. (Und außerdem kann ich mich hier ruhig mal als
Fernsehjunkie outen. Auch wenn der Stoff oft gestreckt oder
verunreinigt ist, der nächste Schuss kommt bestimmt.)
Die Unzucht in »Californication« lässt an eine Art
»Sex and the City« für Männer denken. Nee, was man da für
Wörter hören darf: Spontanerektion, Analbleaching, vaginale
Verjüngung, Nippeltwister und weibliche Ejakulation. Es ist
also etwas für Feuchtgebieter. Und für amerikanische Verhältnisse
bemerkenswert: Die poppen nicht mit BH an! Da kannst du Titties
sehn und Popos wackeln schön. Aber eigentlich sehnt sich der
Hauptdarsteller David Duchovny doch nur ganz romantisch nach
der wahren Liebe. Wie ja alle.
»Dexter« hingegen, die sinistre Hauptfigur der gleichnamigen
Serie, macht sich so gar nichts aus vögeln. Tagsüber arbeitet
er als forensischer Experte für Blutspritzeranalysen. (Was
es in Amerika nicht alles für Berufe gibt! Während in Deutschland
aus Kostengründen Todesfälle nur dann näher untersucht werden,
wenn das Messer noch im Rücken steckt. Wenn überhaupt.) Nach
Feierabend betätigt er sich bei hartnäckigen Flecken als blutrünstiger,
aber doch reinlicher Lynchjustitiar. Der sympathische Psychopath
von nebenan. Ob das die Lösung für die Probleme der Marktwirtschaft
ist? Wenn man sich Arbeit mit nach Hause nimmt?!
Dienstag, 7. Oktober 2008
Mein Teilzeitmitbewohner von letztem Monat hat derweil anderswo
Unterschlupf gefunden. Hatte mich schon an ihn gewöhnt. Doch
oft ist er zu Gast, und meistens dienstags gibt's Fritten
in allen Variationen: deutsche feine in rot/weiß, belgische
dicke mit Béarnaise, holländische speciaal oder englische
mit Salt & Vinegar.
Der angekündigte Traum von einer teureren Wohnung wird vorerst
doch nicht wahr: Mein neuer Vermieter, der die Hütte vor einem
halben Jahr erworben hat, war letztens erwacht und hat mich
schriftlich um Zustimmung zu seinem Mieterhöhungsvorschlag
gemäß dem Mietspiegel gebeten. Wie freundlich, dachte ich,
er bittet um meine Zustimmung. Nach ein bisschen Gegoogel
erfuhr ich: Das ist so üblich! Und ein Mieter hat normalerweise
wenig Spielraum, dem zu widersprechen. Ein Angebot, das man
nicht ablehnen kann.
Wo ich gerade am Recherchieren war, schaute ich mir dann
auch mal gelangweilt den örtlichen Mietspiegel an, den in
sicher zähem Ringen der Haus- und Grundbesitzerverein und
der Mieterschutzverein ausgeschnapst haben. Unvermutet interessante
Lektüre: Die Tabellen des Mietspiegel dienen als Orientierungshilfe
für die Vertragspartner, um »die Miethöhe im Rahmen der ortsüblichen
Entgelte eigenverantwortlich zu vereinbaren«.
Zunächst muss man nach dem Baujahr schauen (in meinem Fall
vor 1960), dann nach der Güte der Wohnlage (mittlere, wenn
nicht gar einfache – ich sag nur Straßenmusik!) und schließlich
nach den Ausstattungsmerkmalen. Es gibt drei Kategorien von
Wohnungsausstattung: »ohne Bad/Dusche und ohne Heizung«
(das gibt's tatsächlich noch?!), »mit Bad/Dusche oder mit
Heizung« und »mit Bad/Dusche und mit Heizung« Bad
habe ich, Heizung habe ich, also Kategorie 3, dachte ich.
Doch hier lohnte ein Blick ins Kleingedruckte: »Eine Heizung
ist dann vorhanden, wenn es sich um eine Sammelheizung/Etagenheizung
handelt. Einzelne Gas- oder Ölöfen in einzelnen Räumen erfüllen
das Merkmal ›Heizung‹ nicht.«
Eiguggemoldo: Meine zwei Räume besitzen tatsächlich nur
jeweils einen eigenständigen, uralten Gasbrennofen; in der
Küche befindet sich eine Elektroheizung und in Bad und Diele
ist gar keine Heizung installiert. Mithin zahle ich bereits
mehr, als ich gemäß Mietspiegel müsste! Dem Erhöhungsvorschlag
kann ich daher leider, leider nicht zustimmen.
(Obwohl sachlich auf der richtigen Seite bin ich sicherheitshalber
zusätzlich seit Neuestem Mitglied im Mieterschutzbund.)
Wir haben vor, morgen einen Ausflug zu machen (Wandertag!).
Da wir uns nicht zwischen Köln und Düsseldorf als Ziel entscheiden
konnten, werden wir folgerichtig nach Bonn fahren.
(So Stadttouren sind nicht ohne: Als ich damals das erste
Mal in Aachen war, starb der Strauß, als ich das letzte Mal
in Bonn war, starb Johannes Rau – ich bin also schwer gespannt,
wen es morgen erwischen wird …)
Mittwoch, 8. Oktober 2008
g - g - g - e … – richtig, als erstes waren wir in Beethovens
Geburtshaus bei Ludwig van, um uns über Leben und 0. bis 10.
Sinfonie des beliebten holländischen Komponisten zu informieren.
(Weitere Musik-Gags siehe Hans
Liberg.)
Anschließend arbeiteten wir die letzten 63 Jahre der deutschen
Zeitgeschichte auf. Im »Haus der Geschichte« kann man lebensnah
sehen, dass es einst zwei Deutschlands gab. (Klar, war bekannt,
die BDR und die DDT.) Das ausreichend vorhandene abschreckende
Anschauungsmaterial in den Vitrinen ist übrigens für all diejenigen
empfehlenswert, die Stasiland unbedingt wiederhaben wollen.
Später verfluchten wir noch die Deutsche Bahn AG; wegen erstens
Verspätung und zweitens Überfüllung und drittens sowieso.
Donnerstag, 9. Oktober 2008
Politiker haben gestern Glück gehabt, aber den armen Herbert
Bötticher (†) hat's leider erwischt. Schade um »Alphonse«.
Freitag, 10. Oktober 2008
Beim Bahnhof Rothe Erde haben gestern die AachenArkaden
eröffnet. Da, wo jahrelang Ödnis herrschte, prangt jetzt ein
neuer Konsumtempel. Ob sich der noch lohnt, jetzt, da der
Kapitalismus kaputt ist? Die Geschäftswelt der Innenstadt
sieht das wohl so, denn sie befürchtet Kaufkraftabwanderung
dorthin. Na wenn das mal kein gutes Omen ist.
In architektonischem Sinne sind die Arkaden allerdings vielmehr
Kolonnaden, da der Säulengang ein gerades Gebälk besitzt und
kein gebogenes. So!
(Zwischenruf aus dem Server: »Hör auf mit dem Klugschiss
und schreib weiter Deine Witze!«)
Schon auf dem Wege dorthin kommt man sich richtig großstädtisch
vor: In einigen Buslinien der ASEAG werden die Haltestellen
mittlerweile mittels Ansagen vom Band angekündigt. (Was auch
bitter nötig ist, wenn die Fensterscheiben wieder einmal mit
Vollformatreklame zugekleistert sind.) Wie in der U-Bahn.
Leider ist der Sprecher der Konserven unfähig, richtig zu
betonen. Wenn er Elsassstraße, Josefskirche
und Kaiserplatz ansagt, könnte man meinen, es handele
sich um Elsa's Straße, Josef's Kirche und die
Aufforderung an einen Monarchen, zu explodieren: Kaiser,
platz!
Samstag, 11. Oktober 2008
Nun hat er's übertrieben: Jörg Haider (†) ist ein Ideechen
zu weit nach rechts abgedriftet …
Schon sprießen Verschwörungstheorien. Beteiligt waren nämlich
ein PKW-Modell der Oberklasse, ein Betonpfeiler, überhöhte
Geschwindigkeit, Alkoholkonsum und Nebel. Es handelt sich
also um eine heimtückische Konspiration von Automobilindustrie,
Bauwirtschaft, Physik, Spirituosenindustrie und Petrus.
Ebenso erfreulich: das Wetter! Also raus in die goldige
Natur und losspaziert in Richtung Süd-Ost. En passant entdeckten
wir unter anderem die Ningbostraße – Google Earth kennt sie
noch nicht! Sie ist momentan noch weitgehend unbebautes Baugebiet
für junge Familien, mit direktem Zugang zu käuenden Kühen
und poppenden Libellen. Dort wird man sein Fahrrad bestimmt
nicht vor der Haustür geklaut bekommen!
Apropos Google Earth: Dort habe ich am Ende des Tages ausgerädelt,
dass unser kleines herbstliches Spaziergängchen ins Blaue
neun Kilometer lang war.
Warum aber schwätzen so viele in den Medien jetzt vom »Indian
Summer«? Was ist mit dem schönen Begriff Goldener Oktober
nicht in Ordnung? Oder meinetwegen mit Altweibersommer,
einem Ausdruck, dessen Verwendung übrigens keinen Eingriff
in die Persönlichkeitsrechte von älteren Damen darstellt,
wie gerichtlich festgestellt wurde (LG Darmstadt, Az. 3 O
535/88, Urteil vom 2. Februar 1989; NJW 1990, Seite 1997)?
Sonntag, 12. Oktober 2008
Die ganze Welt klagt über die Finanzkrise – wie schön, dass
es daneben noch eine andere, wirkliche Katastrophe gibt: das
Fernsehprogramm. Im Radio vernahm ich beim morgendlichen Möhrentortebacken,
dass Marschall Reich-Ranicki es gestern bei der Verleihung
des Deutschen Fernsehpreises zum Eklat hat kommen lassen.
(Auch wenn die Vokabel »Eklat« sonst immer überstrapaziert
wird.) Er blies dem Fernsehen insgesamt den Ranickimarsch
und weigerte sich, den Preis anzunehmen. Geile Reklame, denn
nun werde ich auf den rituellen Sonntagabendtatort verzichten
und mir die Aufzeichnung davon im 2DF ansehen.
—
Das Warten auf den angekündigten Eklat hat die öde Gala einigermaßen
erträglich gemacht. Fernsehpreis ist eben nicht Oscar. Ich
konnte den Groll des Manns nach stundenlangem Ausharren ein
wenig verstehen. Dabei war die Aufzeichnung schon die eingekochte
Version mit nur den saftigen Stückchen.
Je nun, Reich-Ranickis Kritik, dass alles Dargebotene einfach
nur Blödsinn wäre, war wohlfeil – Fernsehen besteht halt aus
wenig Perlen und viel Pröll. Das hätte der gute Mann wissen
können, bevor er sich breit ins Publikum pflanzt und ehren
lässt. Hat Brecht darüber noch nichts geschrieben? Warum ist
er nicht gleich zuhause geblieben und hat ein gutes Buch gelesen?
Hat er schon alle durch?
Andererseits: Was weiß der Blinde von der Farbe? Was weiß
der Bücherwurm vom Fernsehen? Hat er überhaupt Zeit zu gucken?
Weiß er, wo die Kiste angeht? Oder dass man sie auch ausmachen
kann?!
Gewiss, über etliche Sendungen ließe sich trefflich räsonieren:
Wenn man tagsüber die Glotze anschaltet, bekommt man auf allen
Sendern in Endlosschleife den gleichen Senf vorgesetzt: Erstens
bigotte Krawallmagazine mit jeweils identischen Berichten
über brisante Unglücksfälle, taffe Einzelschicksale und explosive
C-Prominenz, zweitens zu jeder Tageszeit wiederholte Telenovelas
à la »Rote Rosen im Sturm der Liebe auf dem Wege zum Glück«
und drittens Reportagen, in denen man sieht, wie einer
Tiere im Tierpark anständig hegt und pflegt oder zu unanständigen
XXXL-Hamburgern verarbeitet, mit denen man die halbe Sahelzone
satt bekäme.
Also genau das Richtige, wenn man in Ermangelung eines Lagerfeuers
nach des Tages Fron ein Weilchen hirnlos-sinnentleert in wärmendes
Flackerlicht stieren möchte … Schon toll, was man für
so ein bisschen GEZ-Gebühr alles frei Haus geliefert bekommt.
Lesen wäre da viel zu anstrengend. Und überhaupt: Ein Buch
ist auch nur ein Medium und Lesen kein Wert an sich. Es ist
seit Gutenberg eine Menge mehr Dreck gedruckt worden als in
80 Jahren Fernsehgeschichte versendet werden konnte. (Aber
man arbeitet dran.)
In seinem Rundum-dämlich-Paket hat er allerdings auch diejenigen
Preisträger diskreditiert, die für die Perlen im Programm
zuständig sind, zum Beispiel »Contergan«, »Switch« oder Silke
Bodenbender.
Und außerdem erreicht, dass sich in der Folge keiner an
die Ausgezeichneten erinnern wird, sondern nur noch an ihn,
den alten Fuchs. Man muss eben wissen, wie man mit dem Medium
umspringt.
Zur Strafe muss er nun jedoch mit seinem neuen Duzfreund
Thomas Gottschalk ein televisonäres Duett geben und öffentlich
über Qualität im Fernsehen dikutieren. Die beiden älteren
Herren (einer, der es macht, und einer, der es nicht sieht)
sind wie geschaffen für diese Aufgabe, nicht durch unnötige
Distanz oder Kenntnis belastet und werden nebenbei sicher
das Fernsehen neu erfinden. Oder wenigstens einen Sender?
Demnächst, auf MRR:
11:00 Bücher suchen ein Zuhause
12:00 Lafer Liest Lichter
12:45 Live:Literatur de France
13:30 ABC 26 – Deutschland, Deine Buchstaben
14:00 Der Büchnerpreis ist heiß
14:30 Frank, der Reading-Planer
15:00 Dichterin Barbara Salesch
16:00 Servicezeit: Verreißen
17:00 Einsatz zwischen zwei Deckeln
18:00 Autor sucht Frau
19:00 Wer wird Auflagenmillionär?
19:55 Buchmarkt im Ersten
20:00 Literaturschau
20:15 Brennpunkt: Der Roman – eine Gattung in Not
20:30 Germanys Next Literaturpapst
21:30 Deutschland sucht den Superkritiker
22:15 Tagesdramen
22:45 Schlag den Walser
00:00 Sexy Wort Clips: Wie konjugiert man ficken?
01:00 Warten auf Hotbutton
(Dieser Service wurde Ihnen präsentiert vom VEB Deutsche
Bank.)
Montag, 13. Oktober 2008
Happy Birthday, Paul Potts! Genieße Deine Viertelstunde Ruhm.
Demnächst wird man die nächste Sau durchs Dorf jagen und Deinen
Namen nur noch in Vorlesungen der Art »Gepuscht & verpufft
– artifizielle Hypes in der Mediengesellschaft« hören
und sich fragen: »Pol Pots, Pol Pots, … war das nicht so
ein durchgeknallter Diktator aus Kambodscha …?!«
Dienstag, 14. Oktober 2008
Woran erkennt man, dass ein neues Semester begonnen hat?
Die Innenstadt ist tagsüber bevölkert von marodierenden Erstis,
die bierflaschenbewehrt-grölend alberne Spiele durchführen.
Woran erkennt man, dass es sich dabei wirklich um Erstsemester
handelt? Sie kommen sukzessive in meine Lieblingsgaststätte
am Fuße der Pontstraße, erfragen sich ein Souvenir (bis die
neuen Zündhölzer aus dem Druck kommen eben Bierdeckel) und
siezen dabei das nur unwesentlich ältere Servicepersonal.
Auch hier im Hause geht's nach dem Einzug von vier jungen
Studis zu wie im Taubenschlag, wie man an der hochfrequenten
Nutzung des Treppenlichts unschwer erkennen kann. Jetzt ist
wieder Leben in der Bude. Lange stand die Wohnung im zweiten
und noch länger die im ersten Stock leer. (Und auch als im
Ersten noch jemand wohnte, bekam man nicht viel mit von ihm
– sieht man mal von den zwei bis drei Briefen pro Woche im
Hausflur ab, die abwechselnd den Absender Staatsanwaltschaft
oder Inkassofirma trugen.)
Der Börsengang der Bahn wird verschoben. Tz, selbst dabei
hat die Bahn Verspätung! Noch schlimmer aber sind die alltäglichen
Verspätungen, wenn zum Beispiel ein älteres Ehepaar eine Bahnreise
antreten will, die zuständigen Züge aber nicht pünktlich kommen,
so dass es gezwungen ist, beim Umsteigen in einen alternativen
ICE mit noch dazu fehlerhafter Wagenstandsanzeige zu hasten
und eine der Beteiligten auf dem Bahnsteig böse stürzt und
sich dabei eine Schenkelhalsfraktur zuzieht!
Die Linkspartei stellt Peter Sodann (Betonung auf der ersten
Silbe), den Darsteller des verschnarchesten und moralingesäuertesten
TV-Kommissars zur nächsten Wahl des Bundespräsidenten auf,
dessen Pensionierung ja bereits zu reich-ranickischer Qualitätsverbesserung
des televisionären Sonntagabends geführt hat. Wollen wir den
wirklich zur betulichen Neujahrsansprache wiedersehen? Nur,
wenn im Gegenzug der bisherige Bundespräsidentendarsteller
Tatortkommissar wird!
Mittwoch, 15. Oktober 2008
Wie bei Stefan Schumacher ist nun auch bei Bernhard Kohl
herausgekommen, dass er bei der Tour de France gedopt war.
Schweinebacken! Bescheißen und sich dreist auf dem Podium
bejubeln lassen!
Wenn ARD und ZDF nun nicht mehr übertragen wollen, wie die
pharmazeutische Industrie um die Wette radelt, habe ich nächsten
Sommer eine Menge Zeit, um synthetischen Glucocorticoide einzuschmeißen
und wieder selbst durch die Lande zu fahren.
Samstag, 18. Oktober 2008
Der Hochzeit erster Teil: Im Rathaus zu Aachen vollzog der
vielleicht eine Spur zu gut aufgelegte Standesamtsleiter die
Vermählung. Herzlichen Glückwunsch, Familie Gröblinghoff!
Sonntag, 19. Oktober 2008
Was ist denn nun los: Der Kapitalismus kapituliert – aber
der Sprit kostet nur 1,25 Euro?! Vor ein paar Monaten lag
der Preis noch kurz vor einssechzig und das Ende individuellen
Automobilität stand kurz bevor. Ich versteh's nicht.
(Diese Tankstelle veranschaulicht übrigens, dass das Grundprinzip
des Marktes tatsächlich gestört ist: Die Vorräte waren leergehamstert!
Hohe Nachfrage, aber kein Angebot.)
Es gelang, an anderer Tanke eine ausreichende Menge an einem
komplexem Gemisch aus verschiedenen, überwiegend leichten
Kohlenwasserstoffen, deren Siedebereich zwischen dem von Butan
und Kerosin/Petroleum liegt und das hauptsächlich aus veredelten
Komponenten aus der Erdölraffination hergestellt wird, zu
erstehen, so dass wir zur Geburtstagfeier nach Bensberg fahren
konnten.
Montag, 20. Oktober 2008
Die Kampagne »sehen lernen« trägt mit ihren großen,
bunten Holzrahmen derzeit zur Verkasselung Aachens bei. Ob
man damit allerdings »die Öffentlichkeit für die gebaute
Umwelt sensibilisieren und die Bevölkerung stärker für die
Belange der Baukultur gewinnen« kann, darf wohl bezweifelt
werden. Ich schätze, dass die Bevölkerung eher für einen anderen
Belang sensibilisiert wird: »Dafür haben die Geld!«
Mittwoch, 22. Oktober 2008
Indien hat eine unbemannte Lunarrakete gestartet. Verständlich,
dass ein Land, wo der Pfeffer wächst, nach Möglichkeiten sucht,
Leute auf den Mond zu schießen.
Donnerstag, 23. Oktober 2008
Von 1994 bis 1997 habe ich bei der Firma Immuno regelmäßig
Blutplasma gespendet; später hieß diese Firma dann Baxter.
(Baxter ≈ Dexter … Zufall?!) Plasma, das ist
der Teil des Blutes, der von den roten und weißen Zellen abgetrennt
wurde, der aber noch gerinnen kann. Die Blutzellen bekommt
man bei der Plasmapherese gleich wieder zurück, so dass man
die Prozedur gut verträgt und anders als bei Blut sogar bis
zu zweimal pro Woche spenden kann.
Nun habe ich mich als Spender zurückgemeldet, diesmal bei
der DGH in der Peterstraße. Der Bedarf an Plasma ist immer
noch hoch – man hört ja so viel von diesen neumodischen Plasmabildschirmen
… –, denn es kann nicht künstlich hergestellt werden und daraus
lassen sich viele lebenswichtige Medikamente herstellen, für
Patienten mit Störungen der Immunabwehr, der Blutgerinnung
und der Wundheilung, auch und vor allem bei kleinen Kindern,
schluchz.
Bevor ich jetzt vor der Zeit zu Sankt Thomas X. gemacht
werde: Es gibt auch Geld dafür!
Der Aufwand, ein knappes Stündchen lesend mit Kanüle im
Arm am Pumpautomaten zu sitzen, wird mit durchschnittlich
18 Euro entschädigt. Das sind 18 Euro für die kleinen Extras
des Alltags, Wasser, Brot, Klatschkäs. Außerdem wird man jedesmal
ärztlich untersucht und somit rechtzeitig alarmiert, wenn
etwas nicht stimmen sollte mit den inneren Werten. (Falls
jemand Interesse bekommen hat: Man darf mich gerne dort als
Werber angeben!)
Nachmittags Geburtstag mal anders. Es gab nicht so viel zum
Auspacken, sondern eher was zum Ausgehen, Ausessen und Austrinken:
Picknick im Park, mit den vielleicht letzten wärmenden Sonnenstrahlen
des Jahres. (Natürlich erst, nachdem wir all die Banker von
unserer Bank vertrieben hatten.)
Apropos: Herzlichen Glückschlumpf!
(Heute vor 50 Jahren erschienen erstmals in einem belgischen
Comic die Schlümpfe.)
Freitag, 24. Oktober 2008
Kann sich noch jemand an meinen musikalischen Geheimtipp
von vor ziemlich genau vier
Jahren erinnern? Maria Mena erobert inzwischen auch deutsche
Herzen. An selbiges möchte ich aus gegebenem Anlass auch das
neueste Album »Cause And Effect« sowie die Single »All This
Time« legen. (Sogar WDR2 hat sie schon zur Kenntnis genommen
– und wird sie hoffentlich nicht totdudeln.)
Sonntag, 26. Oktober 2008
Dass ich das noch erleben darf: Mein alter Herr ist bei YouTube
vertreten. Noch dazu mit einem Stunt, der Indiana Jones vor
Neid sicher erblassen ließe:
Montag, 27. Oktober 2008
Ein letztes Wort zu Bayern: Horst Seehofer ist nun dessen
Landesvater. Für ihn ganz etwas Neues: Eine Vaterschaft, bei
der er keine Alimente zahlen muss.
Dienstag, 28. Oktober 2008
Ich werde diskriminiert! Welches Hemd entwirft denn solche
Aufzüge?
Mittwoch, 29. Oktober 2008
Bettenbau. Zum Glück lese ich aus Prinzip keine Handbücher.
Sonst wäre ich bei dieser auf ein postkartengroßes Zettelchen
hektographierten »Anleitung« wohl verzweifelt:
Wie hieß nochmal der Hit dieser einen Blechmusikantenkapelle
aus den Achtzigern, »Seventh Copy of a Seventh Copy«?
Weiterhin kann ich nicht fassen, was ich da beim Vorbeifahren
erspähte:
Was ich ebenfalls nicht fassen kann: Nun will die Regierung
Neuwagenkäufern die Kfz-Steuer schenken, um Anreize zu schaffen,
dass sich überhaupt noch jemand ein Auto anschafft – damit
der schöne billige Sprit in den Zapfsäulen nicht vermodert.
Jetzt, da eine VW-Aktie teurer ist als ein VW …
Noch eine gute neue Serie, mittwochsabends auf PRO7: »Pushing
Daisies« Quietschbunt, schnell, absurd und hübsch morbide.
Die Hauptfigur, der Kuchenbäcker Ned (super Identifikationspotential!),
hat die Gabe, Tote und Totes durch bloße Berührung wiederzubeleben.
Wenn er sie jedoch ein zweites Mal berührt, sind sie wieder
tot – und bleiben es auch. Es schlägt daraus in zweifacher
Hinsicht Kapital. Erstens gibt es auch bei ihm verdammt guten
Kuchen (mit den allerallerfrischesten Früchten). Zweitens
hilft er einem Detektiv, indem er Mordopfer wieder aufweckt
und nach dem Tathergang befragt. (Um hinterher selber keine
lästigen Fragen gestellt zu bekommen, berührt er sie kurz
darauf ein weiteres Mal …) Tragikomisch wird das Ganze, als
er seine Jugendliebe wiedererweckt – und sie daraufhin nie
mehr berühren darf … Aber was schreib ich hier rum? – Selber
gucken!
Donnerstag, 30. Oktober 2008
Süßes? Nein, Saures! Dieses Jahr hat Galgenhumor, denn der
Monat endet mit einem aus dem Ausland importierten Feiertag,
der wirklich zum Fürchten ist: Weltspartag.