III. Malen und Gestalten mit Geistigbehinderten

III.1. Eignung des bildnerisch-kreativen Gestaltens für die Zielgruppe

Eine Zusammenschau der Fähigkeiten Geistigbehinderter (siehe I.2.c.) und der Eigenschaften bildnerisch-kreativer Praktiken (siehe II.2.a. und II.2.b.) zeigt, welche Eignung das Gestalten für die Zielgruppe mit sich bringt. Die wichtigsten seien hier hervorgehoben:

Eine zentrale Eigenschaft des Malens kommt den meist eingeschränkten Fähigkeiten Geistigbehinderter entgegen: Weil mit dem Malen an sich keine hohen Ansprüche verbunden sind – etwa fotorealistische Darstellung oder ähnliches – und Offenheit im Hinblick auf die Art des Umgangs und der Verwendung der bildnerischen Materialien herrscht, kann jeder malen, wenn er nur fähig ist, zu sehen und einen Pinsel oder Stift zu führen. Behinderung ist relativ: Auch wenn dem Geistigbehinderten viele andere Tätigkeiten versagt sind, macht sich die Behinderung beim Malen nicht so deutlich; das Malen ist ein Bereich, in dem er nicht behindert ist. Gleiches gilt für das Modellieren in Ton (vgl. Röttger/Klante 1966).

Die Fähigkeit, das eigene Handeln bis in Einzelheiten geistig zu entwerfen und zu planen, kommt nur wenigen Geistigbehinderten zu. Viele können größere Zeiträume nicht vorausplanend überschauen. Beim Malen und Modellieren jedoch folgen Handlungen und deren Auswirkungen zeitlich sehr dicht aufeinander, so daß der Geistigbehinderte die Folgen seines Handelns unmittelbar erfahren kann, zum Beispiel wenn er zwei Farben übereinandermalt und daraus dann eine völlig andere entsteht oder einen Klumpen Ton zu einer Rolle formt.

Weil beim Geistigbehinderten das anschauliche und konkrete Denken vorherrschen, kommt ihm die Anschaulichkeit und Direktheit einer manuellen Tätigkeit wie dem Malen besonders entgegen. Kognitive Inhalte werden eher bewältigt, wenn sie mit ganzheitlichen, auf mehreren Ebenen gleichzeitig stattfindenden Erfahrungen verknüpft sind. Denn aufgrund seiner relativ geringen Fähigkeit zur Abstraktion kann er besonders gut lernen, wenn möglichst viele Sinne angesprochen werden. Dazu gehören neben der auditiven, olfaktorischen und gustatorischen auch die visuelle, die kinästhetische und die haptische Wahrnehmung. Die drei letztgenannten werden beim bildnerisch-kreativen Gestalten besonders beansprucht. »Wenn Selbstfindung auf dem Weg über abstraktes Denken und entsprechende Kommunikation nicht möglich ist, so sollten auf der Stufe des konkret anschaulichen Denkens die vorhandenen Möglichkeiten dazu ausgeschöpft werden.« (Wienhues/Kirchhoff 1985, S. 13)

Viele Geistigbehinderte sind von Antriebsschwäche geprägt. Diesem Umstand kommt der Aufforderungscharakter von Medien im allgemeinen und von Farben im besonderen entgegen. Der Bedarf an Anreiz wird von den stimulierenden Eigenschaften der bildnerischen Mittel gedeckt. Die Formbarkeit des an sich formlosen Materials motiviert den Einzelnen zum Gestalten und Spurenhinterlassen. Zudem kann er nach dem Lustprinzip handeln, denn Malen ist lustbetont und hat Spielcharakter. Es herrscht große Freiheit, da wenige Regeln das Gestalten einschränken.

Da der Geistigbehinderte aufgrund unzulänglicher kognitiver Fähigkeiten sehr auf seine emotionalen Fähigkeiten angewiesen ist, bieten ihm bildnerische Mittel zusätzliche Möglichkeiten des Zugangs zu seinem Gefühlsleben.

Die sprachlichen Defizite des Geistigbehinderten hinsichtlich des Sprechens und Verstehens veranlassen ihn zum Rückzug in sich und damit zur Isolation. Gerade der Behinderte ist daher auf den Ausdruck mit bildnerischen Mitteln verstärkt angewiesen, da ihm viele andere Ausdrucksmöglichkeiten nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung stehen (vgl. Lindsay 1973). Denn Kommunikation soll anhand von medialer Arbeit ja ermöglicht und unterstützt werden. Dies geschieht vielfach auf nonverbale Weise und kann besondere emotionale Tiefe erreichen. Obwohl die sprachliche Kompetenz der Zielgruppe eingeschränkt ist, bietet die Kommunikation durch bildnerische Mittel als Ersatz für die Alltagskommunikation die Gelegenheit zu intensiverem Erleben und neuen Erfahrungen.

III.2. Material und Technik

Bei der Auswahl des Materials ist zu beachten, welches Material geeignet ist, die Bereitschaft und das Interesse der Zielgruppe zu wecken und den angestrebten Zweck zu erfüllen. Die Materialien müssen den Teilnehmern und der Zielsetzung angepaßt sein. Es gibt zwar die oben angeführte Vielfalt, doch es muß sich auf weniges beschränkt werden, denn es sollen ja nicht möglichst viele Maltechniken gelernt werden, sondern sozialpädagogische Ziele verfolgt werden. Daher bietet sich an, vielseitig verwendbare Farben wie flüssige Guache-Farben einzusetzen.

Die verwendeten Materialien sollten von guter Qualität sein, denn der Malende gibt für das Nichtgelingen seiner Vorstellungen nicht dem minderwertigen Material die Schuld, sondern seinem eigenen vermeintlichen Unvermögen; das führt zu Entmutigung. Der Lernerfolg der Übungen sollte jedoch nicht am Material scheitern.

Die Farben sollen leuchtend sein, denn leuchtende Farben regen zum Gestalten an und fördern eine positive Stimmung. Abschwächen, vergrauen und gegeneinander abstimmen kann man Farben immer, man kann sie jedoch nicht leuchtender machen, als sie sind. Die Farben sollen reine Mischfarben ergeben. Meistens sind billige Farben stark verschnitten. Der Verschnitt wirkt sich als Grau in der gemischten Farbe aus, verfälscht das Mischergebnis und enttäuscht den Malenden. Wichtig ist, daß die Konsistenz der Farben verschiedene Techniken des Farbauftrags erlaubt: Die Farben sollten normal oder mit Wasser verdünnt mit dem Pinsel aufgetragen werden können, aber dickflüssig genug sein, um die Verarbeitung mit den Fingern zu ermöglichen. Wenn die Farben deckend sind, kann der Geistigbehinderte etwas schon Gemaltes wieder übermalen. Er ist nicht an seine ursprüngliche Idee gebunden und kann seine Entscheidung ändern. Das Bild kann sich entwickeln. Die Deckkraft sollte daher so hoch sein, daß mit hellen Farben auf dunkle gemalt werden kann. Spezielle Fingerfarben sind nicht so gut geeignet, da die Art und Weise des Gebrauchs schon durch den Namen der Farbe bestimmt ist und kaum eine andere Technik zuläßt. Außerdem sind Fingerfarben sehr pastos und teigig, so daß sehr oft Farbe nachgenommen werden muß, was die Spontaneität hemmt. Daß die Farbe ungiftig sein muß, versteht sich von selbst, vor allem bei der Arbeit mit Geistigbehinderten. Darüberhinaus sollten sie ohne Lösungsmittel und umweltverträglich sein.

Die Palette sollte sowohl die Grundfarben Blau, Gelb und Rot umfassen, als auch die unbunten Farben Schwarz und Weiß. Eventuell können auch die Sekundärfarben Grün, Orange und Violett bereitgestellt werden, doch ebenso wie die verschiedenen Grau- und Brauntöne können diese selbst von Behinderten ermischt werden.

Die Pinsel sind die Verbindung zwischen Malendem, Farbe und Bild. Sie sorgen mit ihrer Flexibilität und Weichheit für ein lustvolles Streichgefühl und zusätzliche Anregung. Die Pinsel sollten beides ermöglichen: flächiges, »malerisches« und lineares, »zeichnerisches« Malen.

Das Papier ist die Grundlage für das Malen. Da dies nicht immer sanft vor sich geht, muß das Papier stark genug sein, um auch Schläge, wiederholtes Übermalen, Kratzen und ähnliches zu überstehen. Am besten eignet sich 120 g/m² bis 210 g/m² starkes, weißes Offset- oder Tiefdruckpapier. Farbiges Papier eignet sich nicht für das Malen, da es nicht leer ist. Weißes Papier ist neutral und erlaubt alles, auch leere, nicht bemalte Stellen.

Das Format des Papiers weist die Grenzen aus, innerhalb derer der Malende sein Werk bewältigen muß. Analog zum Leben markiert es den eigenen Bereich, für den der Einzelne zuständig ist, und innerhalb dessen er sich sicher fühlen kann. Unbegrenzter Malraum, wie zum Beispiel Tapetenrollen oder Wände, die zum Nachbarn keine Grenze aufweisen, überfordern den Malenden. Er fühlt sich verloren und meint, nie fertig zu werden (vgl. Egger 1981). Insbesondere bei Geistigbehinderten muß aufgrund häufig anzutreffender körperlicher Beeinträchtigungen beachtet werden, daß das ganze Blatt mühelos erreicht werden kann. Daher sei ein Format von DIN A 3 bis DIN A 2 vorgeschlagen. Das Papier ist auf dem Tisch oder an der Wand festzukleben, damit es weder verrutscht noch wellt.

Als Palette haben sich alte Teller bewährt, die das Mischen einer großer Mengen Farbe ermöglichen und abwaschbar sind.

Die Techniken der Handhabung müssen einsichtig und anregend für die Teilnehmer sein. Komplizierte Techniken lassen den Malenden an seinen Fähigkeiten zweifeln. Zum Einstieg sind aleatorische Techniken geeignet: Sie gelingen leicht, heben das Selbstwertgefühl und motivieren, etwas Ungewohntes zu riskieren.

Zu empfehlen ist die Naß-in-Naß-Technik. Als einfache Technik, bei der mit flüssiger Farbe auf nassem Papier gemalt wird, verhindert sie den Versuch zu zeichnen und ist für die Anfangsphase auch für spastisch Gelähmte geeignet. Die einfache Aufgabenstellung, nach der das Blatt ganz mit Farbe bedeckt sein soll, bringt Freude und Überraschung durch das Zerfließen der Farben in zufällige und gewollte Formen und Farbmischungen. Es ermöglicht einfache Erfolgserlebnisse und spornt an weiterzumachen.

Da nicht alle Farbtöne bereitgestellt werden können – schließlich gibt es unendlich viele -, ist es nötig, die Teilnehmer in den Techniken des Mischens zu unterweisen. Dadurch erlangen sie zusätzliche gestalterische Freiheit. Dabei geht es um ganz einfache Farbmischungen, die auch während des Malens bei Bedarf erfragt werden können. Der Teilnehmer kann die Erkenntnis gewinnen, daß nicht alles fertig und passend geliefert wird, daß man sich aber selbst helfen kann und daß dabei unerwartete Ergebnisse entstehen können. Das Mischbedürfnis entspringt oft der Neugier, was zwei oder mehr Farben zusammen ergeben, daher soll jedes Mischbedürfnis ausgelebt werden können.

III.3. Methodische Besonderheiten beim Malen

Das methodische Vorgehen beim Malen orientiert sich am methodischen Vorgehen allgemein (siehe I.3.d.). Um Doppelungen zu vermeiden, wird hier nur auf die Besonderheiten beim Malen eingegangen.

Gemäß der Prämisse »Jeder kann malen!« gilt es, bei den Kompetenzen, nicht bei den Defiziten anzusetzen.

Der Sozialpädagoge muß die individuellen Bedingungen der Gruppe und der Gruppenmitglieder präzise wahrnehmen und berücksichtigen. Die geplanten bildnerisch-kreativen Aktivitäten müssen den Voraussetzungen und Fähigkeiten der Gruppe entgegenkommen. Die Ziele und Methoden müssen auf die Lernvoraussetzungen aller Gruppenmitglieder – etwa Motivation, Lerntempo oder Lernzielaufstellung – abgestimmt sein. Infolge dessen muß für jeden einzelnen ein Plan für das pädagogische Vorgehen aufgestellt werden, sonst kann es zur Überforderung oder Unterforderung einzelner kommen.

Welchen Verlauf das bildnerisch-kreative Gestalten nehmen wird, läßt sich nicht vorhersagen. Daher sollte die Planung immer noch Spielraum für flexible Änderungen lassen. Das gilt sowohl für den Ablauf einer Sequenz von Einheiten als auch für eine einzelne Einheit selbst. Folgende Einheiten sollten daher erst detailliert geplant werden, wenn vorangegangene durchgeführt und ausgewertet worden sind. Für jede Einheit sollte ein Alternativprogramm bereitstehen, um die Maßnahmen der aktuellen Situation anpassen zu können.

Bei der Planung sind allgemeine Besonderheiten zu berücksichtigen, die bei Geistigbehinderten aufgrund von Mehrfachbehinderungen oft auftreten: Ist ein Teilnehmer vielleicht farbenblind? Oder kann er die Farben nur nicht korrekt benennen? Ist ein Teilnehmer schwerhörig oder gehörlos? Hat er Schwierigkeiten bei der Handhabung aufgrund von Problemen der Motorik? Ist jemand Epileptiker?

Die Aufgaben des Gruppenleiters beschränken sich auf das Planen der Maßnahme, Motivation der Teilnehmer, die Bereitstellung geeigneter Materialien, das Nahebringen des Mediums, die Unterweisung in der maltechnischen Handhabung und auf die Gesprächsführung. Er soll einen geschützten Spielraum schaffen für gemeinsames Experimentieren und Erleben und Raum und Zeit lassen für die freie Entfaltung der Einzelnen, für das Zustandekommen von Gruppengefühl und für das Ablaufen von Gruppenphasen. Da die Selbsteinschätzung des Geistigbehinderten weitgehend von seinen persönlichen Erfahrungen – das heißt hier Erfolgs- oder Mißerfolgserlebnisse – abhängt, soll ihm der Gruppenleiter beratend und ermutigend zur Seite stehen, wenn er nicht mehr weiter weiß.

Manchem Teilnehmer fällt es schwer, sich auf das Malen einzulassen oder konkret mit dem Malen zu beginnen. Sie haben sich zwar freiwillig gemeldet, doch zu Beginn der Malstunde sind sie nervös und angespannt. Erlebnisse des Tages, etwa bei der Arbeit oder mit Kollegen, haben sie stark gefordert und beschäftigen sie noch immer. Es empfiehlt sich dann eine Übung oder ein Gespräch zur Entspannung. Erst wenn solche Hemmnisse abgebaut sind, gelingt es dem Teilnehmer, sich ganz auf das Malen zu konzentrieren. Dazu trägt auch die Atmosphäre des Raumes bei. Auch während des Malens gilt es, motivierend zu handeln und eventuell Änderungsvorschläge zu machen, was das Wie des Malens angeht. So ist zum Beispiel die Körperhaltung der Malenden zu beachten. Wenn ein Teilnehmer seinen Pinsel so hält, als ob er schriebe, beengt er dadurch seine Beweglichkeit. Wenn er körperlich zu schwungvollen Bewegungen fähig ist, sollte er darauf aufmerksam gemacht werden, daß er auch großräumig sein Blatt nutzen kann. So wird ihm geholfen, sich ein weiteres Spektrum an Möglichkeiten des Gestaltens anzueignen und dadurch weitere Freude am Tun erfährt.

Weil der Geistigbehinderte zur Einsicht der Anschauung bedarf, soll die Erläuterung anhand eigener Erfahrung oder am Modell geschehen und nicht nur durch verbale Anweisung. Die Teilnehmer sollen zu Anfang Gelegenheit haben, das Malmaterial und seine Beschaffenheit in möglichst direktem und unmittelbarem Kontakt zu erleben, zu erfahren und zu begreifen. Sie sollen es mit – möglichst – allen Sinnen wahrnehmen, und damit vertraut zu werden. Bei Schwierigkeiten kann der Gruppenleiter mitmalen und vormachen oder die Hand führen. Er dient als Modell, wenn auch er die Farbe etwa mit den Fingern berührt und damit matscht.

Besonders zu Anfang sollte dem Geistigbehinderten ausreichend Zeit gegeben werden, eigenständig zu malen und zu experimentieren. Analog zu dem aus der Elementarerziehung bekannten Begriff des »Freispiels« kann hier von »Freimalen« gesprochen werden. In dieser Phase kann der Teilnehmer lustvoll ausprobieren, was er mit den Farben alles tun kann.

Wie bei aller Beschäftigung mit Geistigbehinderten werden zuerst niedrige Anforderungen gestellt, die dann allmählich gesteigert werden. Jede Einheit für sich und die Sequenz insgesamt muß sich durch gründliche Planung vom Einfachen zum Schwierigen auszeichnen. Der Ablauf sollte immer vom Grobmotorischen zum Feinmotorischen, von einer Farbe zu mehreren Farben, von reinen Farben zu gemischten Farben, vom Bekannten zum Neuen und von einfachen Übungen zu komplexen führen. Bei Unverständnis oder Schwierigkeiten müssen die Übungen in kleine und kleinste Schritte eingeteilt werden.

Techniken und Verfahren sind behindertengerecht einzuschränken auf wenige Elemente und dann langsam durch neue Techniken und Motivation zu erweitern. Wiederholung wird nicht langweilig, sondern vermittelt das Bewußtsein, etwas zu können.

Damit jedoch nicht immer nur alles nach- oder gleichgemacht wird, soll dem Behinderten beim Erschließen von Alternativen geholfen werden. Dann ist der Entscheidungsprozeß mit jedem einzelnen durchgehen, denn ständig Entscheidungen fällen zu müssen, gewöhnt an die Notwendigkeit dieses Tuns.

Von Bedeutung ist auch das Setting einer Maßnahme. Es beschreibt – vom englischen »Setzen«, »Anordnung« kommend – die situativen Voraussetzungen der Umgebung, deren Wirkung Menschen beeinflußt. Es wird dabei eine Situation arrangiert, deren Faktoren im Interesse einer Lernabsicht gewählt werden.

Zum Setting gehört vor allem die Anzahl der Beteiligten, der Raum und die Sitzordung, der Zeitraum und die Häufigkeit des Zusammentreffens und das Material (vgl. Deutscher Verein 1993).

Der Raum sollte sich durch wenig Ablenkungspotential und große Ruhe auszeichnen. Er sollte geschlossen sein, keine überflüssigen Gegenstände beherbergen und keine Fenster mit Ausblick besitzen, denn das Malen ist ein Prozeß, in dem Verinnerlichtes und soziale Prozesse Ausdruck finden, und der deshalb keiner zusätzlichen Anregung von außen bedarf. Er ist als Ort der Konzentration und der Kontemplation »Spielraum« und beschützende »Höhle«, innerhalb derer sich der Malende entfalten und die Fenster nach innen öffnen kann (vgl. Egger 1981). Alles, was von draußen hereinkommt, sollte frische Luft, fließendes Wasser und gutes Licht sein. Der Raum muß Platz für alle bieten und die Sitzordnung muß Augenkontakt aller ermöglichen.

Alles Material wie Farben und Papier sollte erkennbar in reichlichem Maße vorhanden sein, so daß jeder Teilnehmer in Ruhe schaffen kann, ohne befürchten zu müssen, daß er aufgrund Materialmangels nicht weitermachen kann. Die Materialien sollen bequem erreichbar sein. Zwar böte sich Anlaß zu sozialem Lernen, wenn man sich einen Napf teilen müßte, jedoch ist diese Möglichkeit uninteressant und stört das eigentliche Malen, wenn die körperlichen Fähigkeiten sowieso eingeschränkt sind. Das vorherige Bereitstellen der benötigten Materialien läßt während des Malens keine Zeit dafür verloren gehen. Kleidung, die beschmutzt werden kann, und mit Wachstüchern versehene Tische lassen ungehemmtes Malen zu. Zudem stimmen Schürzen und Malerkittel bereits auf das Malen ein.

Es ist wichtig, daß in der Gruppe gemalt wird, denn nur so kann sich Anlaß für soziales Lernen ergeben. Bei vielen Teilnehmern ist die erwartete Gruppenerfahrung sogar ein ausdrücklicher Beweggrund zur Teilnahme. Andere, zum Beispiel Zuschauer, sind nicht geduldet, da sie die Intimität der Gruppe stören.

Insbesondere beim Malen ist die Gruppengröße überschaubar zu halten, damit jeder Teilnehmer die volle Aufmerksamkeit des Gruppenleiters beanspruchen kann, denn auch in der Gruppe bedarf es Einzelbetreuung.

Die Malgruppe entwickelt sich wie alle formellen Gruppen. Man geht dabei von einem idealtypischen Phasenverlauf der Gruppe aus, der in der Praxis Überschneidungen aufweist und nicht immer klar differenzierbar ist (vgl. Theunissen 1994, Krapohl 1987, Bernstein/Lowy 1978, 1982). In der Orientierungsphase werden die Situation, die Teilnehmer und die Leitung vorsichtig abgetastet. Zum Kennenlernen und dem ersten Aufbau von Beziehung bieten sich beziehungsstiftende Aktivitäten, wie etwa Spiele oder freies Malen an. Während der Machtkampf- oder Aufbauphase wird um Einfluß gerungen, es werden Rollen und Regeln festgelegt. In der Intimitäts- oder Stabilisierungsphase entsteht das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Gruppe. Dieses fördert das Vertrauen und ermöglicht es dem Einzelnen, tiefer zu gelangen, als wenn er allein malte. Die Gruppe zeigt Bereitschaft zu Aktivitäten mit Sozialcharakter, wie Paar- oder Gruppenmalen, die dann in der Kooperationsphase durchgeführt werden können. Die Gruppe findet zu ihrer eigenen Identität. Umso weiter sie vorangeschritten ist, desto weniger bedarf sie der Strukturierung durch einen Leiter. Zum Ende gelangt die Gruppe in die Trennungsphase und bereitet sich auf die anstehende Ablösung vor.

Der Gruppenleiter kann auf dreierlei Weise dem Malen Struktur geben: Indem er vorgibt, was, wie und zu wievielen gemalt werden soll. Denn neben dem Umgang mit den Farben ist die Sozialform, in der gemalt wird – allein, paarweise oder mit der ganzen Gruppe -, entscheidend.

Die einzelnen Übungen sollten den Charakter eines Angebots haben. Die Teilnehmer der Gruppe sollen für sich entscheiden können, ob sie das jeweilige Angebot annehmen oder nicht. Freiwilligkeit erhöht die Motivation zur Teilnahme und baut Hemmungen ab. So soll den Wünschen des Teilnehmers nach Möglichkeit nachgekommen werden. Welche Übungen im Einzelfall durchgeführt werden, sollte möglichst gemeinsam entschieden werden. Auch dies fördert bereits Autonomie und Selbstbestimmung.

Zunächst sollte der Einzelne für sich allein Erfahrungen sammeln. Für den Erstkontakt Einzelnen mit den Farben bieten sich experimentelle Übungen an. Zu Beginn soll jeder die Farben ausprobieren, spielerisch erkunden, was man mit Farben alles machen kann, und in aktiver Auseinandersetzung mit dem Material Farben und Formen erleben. Beim Malen mit den Händen oder Fingern kann frei und unmittelbar mit der Farbe umgegangen werden. Der Einzelne sammelt Erfahrungen, indem er die Farbe anfaßt, spürt und mischt, mit den Fingern auf dem Blatt tanzt und Spuren hinterläßt und seine Hände als Werkzeug begreift. Nachdem anfängliche Hemmungen, die Finger in die Farbe zu tauchen, überwunden sind, können sowohl das Blatt als auch die eigenen Hände bemalt werden. Diese unmittelbare Erfahrung sorgt für Freude am Experimentieren, am Prozeß, am Produkt und an der Wirkung auf andere. Hände und Finger können zur lustbetonten Kontaktaufnahme mit den anderen Teilnehmern benutzt werden. Die Farben können nacheinander auf das Papier getropft und vermischt werden. Beim Bewegen des Papiers und beim Verstreichen der Kleckse erlebt der Einzelne, daß Farbe aktiv und mischbar ist und sich verändert kann. Beim Spiel mit dem Farbklecks wird die Neugier befriedigt, was passiert, wenn zwei oder mehrere Farben aufeinandertreffen.

Deutlich experimentelle Charakter hat auch das thematisch nicht gebundene, sogenannte freie Malen. Dabei ist es dem Teilnehmer überlassen, was er malen möchte. Er kann sich sowohl selbst ein gegenständliches Thema wählen oder autonome Formen entwickeln. Es dient als Motivation und Ausgangspunkt zu themenorientierter Arbeit.

Wenn die Teilnehmer fragen, was sie malen sollen, sollte der Gruppenleiter zunächst nichts sagen, um ihnen nichts von ihrer Entscheidungsfreiheit zu nehmen. Zielt der Leiter jedoch auf ein bestimmtes Ziel ab, wird er ein Thema nennen. Geht es ihm primär um Selbsterfahrung, sollte er eine Aufgabe wie zum Beispiel »Selbstportrait« oder »Wenn ich … wär« stellen. Der Teilnehmer kann sich explizit selbst darstellen, mit der eigenen Person beschäftigen, typische Merkmale erkennen und anerkennen, Wünsche, Träume und Hoffnungen äußern. Anschließend kann zusätzlich gefragt werden, ob die anderen den Einzelnen wiedererkennen. Geht es dem Gruppenleiter um das Gefühlsleben einer Person, bietet sich »Freude«, »Trauer« oder »Angst« als Thema an. Will er die Gruppe thematisieren, stellt er die Aufgabe, die Gruppe oder ein Erlebnis, das die Gruppe gemeinsam gemacht hat, zu malen. Die Teilnehmer müssen sich selbst und die anderen genau betrachten und darstellen und können dadurch Zugang zu Dingen der sozialen Umwelt finden, die bisher nicht beachtet oder begriffen wurden.

Letztlich entscheidet jedoch jeder Teilnehmer selbst, ob er sich an ein vorgegebenes Thema halten möchte oder nicht.

Dem Malen Struktur zu geben, etwa durch die Vorgabe eines Themas, dient der Sicherheit und einem schnelleren Einstieg ins Malen. Es beschneidet jedoch die Freiheit des Einzelnen, die doch erlangt werden soll. Ein vorgegebenes Thema, auch ein weitgefaßtes, nimmt dem Malenden die erste Möglichkeit vorweg, kreativ zu sein und selber ein Thema zu erfinden. Das gleiche gilt für das Vormalen oder gar korrigieren. Der Gruppenleiter soll möglichst viele Freiheiten lassen und dem Malprozeß nur dort Struktur geben wo nötig.

Um die Wahrnehmungsfähigkeit zu verbessern, können Bilder oder Gemälde nachgemalt und Gegenstände abgemalt werden. Indem das Objekt genau betrachtet, betastet, beschrieben und dann erst bildnerisch dargestellt wird, werden viele Sinne angesprochen und die Umwelt ganzheitlich »begriffen«.

Besonderen Augenmerk verdient das Malen nach Musik. Zunächst passen Musik und Malen nicht zusammen: Die Musik ist flüchtig, dynamisch, stellt meist abstrakt eine eigene Wirklichkeit dar und ist somit eine zeitliche Erfahrung. Ein Bild hingegen ist räumliche Gestaltung, statisch, greifbar, oft konkret und daher eine räumliche Erfahrung. Das Malen selbst ist allerdings auch ein zeitlicher Verlauf, nur das Produkt bleibt beständig. In sozialpädagogischer Anwendung steht der Prozeß dann auch im Vordergrund. Auch das Bild kann abstrakt sein, also nach eigenen Regeln existieren und keine äußere Wirklichkeit abbilden.

Gemeinsamkeiten sind in der Sprache zu erkennen, wenn von Klangfarben, Rhythmus, Komposition in beiden Bereichen die Rede ist. Um Musik zu beschreiben bedient man sich bildnerischer Begriffe wie hell oder dunkel, durch die das Gemeinte leichter ausgedrückt werden kann (vgl. Kapteina 1984).

Beim Malen nach Musik wird zu einer Musik frei, daß heißt ohne weitere Vorgaben gemalt. Sie wird als zusätzliches Medium eingesetzt und dient als Anlaß, sich malerisch auszudrücken, sie motiviert und regt zu Bewegung an. Sie kann etwaige Hemmungen abbauen, Assoziationen wecken und die Konzentration stärken. Weil auch sie den emotionalen Bereich der Person anspricht, unterstützt sie den Ausdruck von Gefühlen. Wie beim medialen Arbeiten allgemein ist das Ziel des Einsatzes von Musik, dem Teilnehmer Einblicke in seine Lebenswelt zu ermöglichen, bei der Suche nach Lösungen zu helfen und die Gefühle anzusprechen und ihnen Ausdruck zu verleihen.

Es gibt vier verschiedene Arten der Übertragung von Musik zum Bild (vgl. Kapteina 1984, Kapteina/Hochreiter 1993): Bei der strukturellen Übertragung werden die musikalischen Formen in bildnerische übertragen. Die Musik wird rhythmisch nachvollzogen und tänzerisch nachgezeichnet. Die Körperbewegung entspricht dabei der Musikbewegung. Desweiteren kann die Übertragung durch die Farbgebung geschehen. Die Formen und Instrumente des musikalischen Geschehens werden als Farben wiedergegeben, eine Flöte etwa hell in gelb oder eine Trommel dunkel in braun. Die Klangfarbe entspricht der Farbe im Bild. Die Übertragung kann auch durch die Stimmung vor sich gehen. Das Gefühl während der Musik bestimmt Farbe und Form des Bildes und führt meist zu abstrakten Motiven. Hierbei verläuft das Malen verläuft nicht mehr synchron zur Musik.

Schließlich löst die Musik bei der symbolischen Übertragung Erinnerungen und Assoziationen aus, die dann gemalt werden. Diese Botschaften aus dem Inneren sind zumeist gegenständlich. Diese vier Möglichkeiten können sich natürlich mischen, gleichzeitig, beziehungsweise nacheinander ablaufen. Umso mehr der Malende die Musik stimmungsmäßig oder symbolisch überträgt, desto tiefer hat sie ihn angerührt. Daß beim Malen nach Musik bestimmte Dinge unterbewußt passieren, kann damit erklärt werden, daß mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden. Das übersteigt die Fähigkeit des Bewußtseins, die einzelnen Wahrnehmungen zu verarbeiten. Die synästhetische Gestaltung ermöglicht, daß die menschliche Gefühlswelt tiefer, umfassender, vollständiger widergespiegelt und durchdrungen werden kann.

Vom Malen nach Musik ist Malen mit Musik zu unterscheiden, denn Musik stellt beim Malen eine Beeinflussung bis Manipulation dar, wie auch andere Umgebungsmerkmale Einflußgrößen sind. Daher sollte Musik nur zweckgebunden eingesetzt werden und nicht bloß als Geräuschkulisse der beiläufigen Berieselung oder Ablenkung dienen.

Wenn die Teilnehmer einzeln grundlegende Erfahrungen und Sicherheit im Umgang mit Farbe gewonnen haben, kann auf Paararbeit übergegangen werden. Beim Dialog der Farben wählt sich jeder eine Farbe, mit der er malen möchte. Beide Partner malen gleichzeitig mit ihrer Farbe ohne zu reden auf demselben Blatt. Beim Kontaktmalen zu zweit sitzen sich zwei Partner an einem dreigeteilten Blatt gegenüber. Erst malt jeder mit der vollständigen Palette für sich in seiner Ecke, dann malen beide im Mittelteil zusammen (vgl. Janson-Michl 1980). Diese Übung funktioniert auch ohne die vorherige Aufteilung in Parzellen, dann stellt sie jedoch höhere Anforderungen an die sozialen Fähigkeiten. Beim Malen mit einem Pinsel halten beide gemeinsam den Pinsel und malen nach vorheriger Absprache einen gemeinsamen Gegenstand.

Die Teilnehmer lernen soziale Verhaltensweisen, vor allem partnerschaftlich zu handeln. Sie erfahren die Notwendigkeit, sich mit dem Partner zu verständigen, auf ihn einzugehen und die eigenen Wünsche ihm gegenüber zu artikulieren. Sie erkennen, daß manchmal Kompromisse eingegangen werden müssen, wenn zu zweit auf engem Raum agiert wird.

Als nächste Steigerung bietet sich das Malen in der Gruppe an. Auch in der Gruppe ist ein wortloses Gespräch mittels verschiedener Farben möglich. Wiederum malt jeder Teilnehmer mit seiner eigenen Farbe, die für seine Person steht. Während und nach dem Malen kann jeder seinen Anteil am Gespräch sehen. Eine andere Art von wortlosem Gespräch ist der gemalte Brief. Er entsteht, wenn jeder den Anfang eines Bildes malt und dies im Kreis weitergibt, damit von einem anderen daran weitergemalt wird. Als Kooperationsübung, die die Gruppe zusammenbringt, kann etwa die Aufgabe gestellt werden, daß alle zusammen schweigend ein gemeinsames Traumhaus malen. Kontaktmalen kann auch zu mehreren geschehen: Zuerst malt jeder in einer zugeteilten oder freigewählten Ecke ohne zu sprechen und anschließend werden die stattgefundenen Ereignisse analysiert. Bei diesen Übungen im kollektive Malen werden voraussichtlich Schwierigkeiten auftauchen. Die Teilnehmer können lernen, diese in dem geschützten Lernraum der Gruppe zu bewältigen, unter sich Regeln zu entwickeln, sich unterzuordnen oder durchzusetzen. Die Erfahrungen können anschließend auf Situationen außerhalb der Gruppe übertragen werden.

Kollektives Malen dient als nonverbales Kommunikationsmittel zur Einübung und Differenzierung weiterer soziale Verhaltensweisen: Sich in eine Gruppe einzuordnen, um eine gemeinsame Aufgabe erledigen zu können, einander zu helfen, Rücksicht zu nehmen und sich an Spielregeln zu orientieren. Wenn jeder seinen Teil zum Bild beiträgt und seine Fähigkeiten dem gemeinsamen Ziel unterordnet, lernen die Malenden, daß man sich in seinen Fähigkeiten ergänzen kann und daß jeder, auch der Schwächere, zum Ergebnis beiträgt und Anerkennung verdient.

An das Malen kann sich ein Gespräch über das Malen anschließen. Zunächst wird über den Prozeß des Gestalten geredet. Ohne sofort auf die Bilder einzugehen, schildert jeder Teilnehmer, wie er sich während des Malen gefühlt hat und wie er sich jetzt fühlt. Was hat er erlebt, mit dem Bild, mit der Farbe, mit sich selbst? Dann werden die Bilder aufgehängt oder ausgelegt, und nachdem jeder ausführlich betrachtet und wahrgenommen hat, soll er beschreiben, was er beim Betrachten sieht, empfindet und welche Gefühle, Erinnerungen und Assoziationen das Bild auslöst. Das Bild soll dabei nicht nach Leistungskriterien beurteilt oder gedeutet werden. Zuletzt äußert sich der Maler über sein Werk: Er nimmt zu seinem Bild Stellung und zu dem, was die anderen darüber gesagt haben. Er allein entscheidet, was davon gültig ist. Es muß berücksichtigt werden, daß dies je nach Schwere der Behinderung nicht jedem möglich ist. Es ist mit Aussagen wie »Das ist schön.« zu rechnen. Trotzdem soll die ganze Gruppe in das Gespräch miteinbezogen werden. Aus dem Gespräch über das Bild kann sich dann ein Gespräch über ein sonstiges Thema entwickeln.

Da der Behinderte das Bild gemalt hat, ist es selbstverständlich, daß er es behält. Als praktisch erweist sich eine persönliche Sammelmappe für die fertigen Bilder.

III.4. Qualifikationen des Gruppenleiters

Zusätzlich zu den allgemeinen Qualifikationen des Gruppenleiters als Sozialpädagoge sind weitere Befähigungen hinsichtlich der Zielgruppe und des Malens wichtig.

III.4.a.) Qualifikation in bezug auf Geistigbehinderte

Der Gruppenleiter muß die Besonderheiten der Zielgruppe detailliert kennen, um Lernprozesse einzuleiten, die den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Grenzen Geistigbehinderter entsprechen. Dies schließt insbesondere Kenntnisse über die Beeinträchtigungen im Lernen, im Verhalten und in der psychologischen Entwicklung ein. Der Sozialpädagoge hat sich durch Aufmerksamkeit und Feinfühligkeit auszuzeichnen, denn es ist zu bedenken, daß der Geistigbehinderte schon aufgrund seiner Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung in einer eigenen Wirklichkeit lebt, die unter Umständen deutlich von der üblichen abweicht: Was dem Nichtbehinderten selbstverständlich erscheint, kann dem Geistigbehinderten ein unüberwindliches Hindernis sein.

Der Sozialpädagoge muß befähigt sein, seine fördernden Maßnahmen zu planen, durchzuführen, auszuwerten und zu legitimieren. Dabei muß er in der Lage sein, sein Handeln und dessen Auswirkungen ständig kritisch zu hinterfragen. Die Arbeit muß transparent sein und der Klient muß weitgehend daran beteiligt werden. Der Sozialpädagoge teilt ihm mit, was er zu tun beabsichtigt. Dies ist ein wirksames Mittel gegen Manipulation, also schädigende Beeinflussung ohne das Wissen des Geschädigten, und stärkt das Vertrauen. Offenheit und Authentizität der Person des Gruppenleiters ist unumgänglich.

Er muß Techniken der Gesprächsführung beherrschen. Dazu gehört die Fähigkeit, ein Gespräch nondirektiv zu führen. Er sollte durch Fragen anregen: »Ungeachtet seiner Kenntnisse muß er manches für sich behalten, damit die Teilnehmer selbst nach Antworten suchen.« (Immisch/Ständer/Auert 1984, S. 16)

Der Gruppenleiter muß sich über die besondere Beziehung zwischen ihm und dem Geistigbehinderten bewußt sein, denn eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Sozialpädagoge und Zielgruppe ist bereits eine wichtige Intervention in der gemeinsamen Arbeit. Der Geistigbehinderte muß so weit es geht selbstbestimmt handeln können. Der Sozialpädagoge hat die persönliche Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer zu achten. Es ist ein dialogisches Verhältnis anzustreben, in dem zwei gleichberechtigte Personen sich gegenübertreten. In der helfenden Beziehung hat der Sozialpädagoge mit viel Geduld wohlwollend zur Verfügung zu stehen. Er kann nur anregen und im Lernprozeß behutsam begleiten, schließlich entscheidet der Geistigbehinderte letztlich selbst, ob er die Hilfestellung annimmt oder nicht.

Wenn Probleme und Konflikte auftauchen, gilt es, damit behutsam umzugehen. Falls die Probleme den Rahmen der eigenen Handlungskompetenz des Sozialpädagogen übersteigen, muß der Behinderte an andere Fachleute verwiesen werden, die für die spezifische Hilfe in Frage kommen, etwa Psychotherapeuten.

III.4.b.) Qualifikation in bezug auf bildnerisch-kreatives Gestalten

Der Gruppenleiter muß nicht malen können oder gestalterisch begabt sein. Eine Person, die selber gestalterisch tätig ist oder sein möchte, ist eher hinderlich, da sie unwillkürlich dem Malenden ihre eigenen bildnerischen Vorstellungen und Ideen oktroyieren könnte. Dieser soll jedoch vom Malleiter möglichst unabhängig sein, daß heißt, er soll selber entscheiden, wie er sein Bild gestaltet.

Der Gruppenleiter muß allerdings die Maltechniken kennen und den Geistigbehinderten vermitteln können. Dazu gehören Kenntnisse der bildnerischen Mittel, wie etwa das Spektrum der zur Verfügung stehenden Materialien und Mischtechniken, und deren Einsatz hinsichtlich der sozialpädagogischen Zielsetzung.

Darüberhinaus sollte er fähig sein, die Teilnehmer zu motivieren, beziehungsweise zu ermutigen, sich bildnerisch auszudrücken. Dazu muß er mit den Stärken der Geistigbehinderten arbeiten, Freude an der Tätigkeit vermitteln, das Selbsterleben stärken, Begegnung mit dem Material ermöglichen und eigene Vorstellungen und deren gestalterische Umsetzung fördern können.

Gestalterisches Arbeiten ermöglicht bereits Freiheit. Mit dieser Freiheit umzugehen muß gelernt werden, und der Gruppenleiter sollte dabei behutsam behilflich sein.

III.4.c.) Forderungen an das Verhalten des Gruppenleiters

Um eine vertrauensvolle Beziehung, die wichtig ist für die gemeinsame Arbeit, zu ermöglichen, sollte der Gruppenleiter von Haltungen geprägt sein wie Zugewandtheit zum einzelnen, Bestimmtheit durch eindeutiges Verhalten, Verläßlichkeit durch Konsequenz, Aufgeschlossenheit als Bereitschaft zu Verständnis, Bejahung und Annahme des Behinderten, Zuversichtlichkeit durch positive Erwartungshaltung und Ermutigung und Zufriedenheit durch Bestätigung, Verstärkung und Anerkennung auch minimaler Fortschritte (vgl. Bach 1981). Fehlhaltungen sind solche, bei denen der Geistigbehinderte als Objekt behandelt, beobachtet, bevormundet, bewahrt und bemitleidet wird.

Hinsichtlich der Gruppe soll der Gruppenleiter möglichst wenig ins aktuelle Geschehen eingreifen. Nach der Vorbereitung der Malaktion ist seine Aufgabe, den restlichen in die Wege geleiteten Prozeß mehr zu beobachten als zu steuern. Denn nur aufgrund eigener Erfahrungen können die Teilnehmer lernen. Er soll dem Geschehen nur dort behutsam Struktur geben, wo dies nötig ist, etwa in Einzelschritte zergliedern oder wiederholen. Der Gruppenleiter sagt also eher zuviel als zuwenig. Ferner soll er nötige Regeln erklären und auf deren Einhaltung achten. Hierzu gehört die Wahrung des Freiraums Gruppe: »Jeder darf hier so malen wie er will.«

Hinsichtlich des Malenden soll der Gruppenleiter keinen Druck ausüben. Der Teilnehmer soll nicht malen müssen. Wenn er noch nicht dazu bereit ist, soll ihm Zeit gelassen werden. Ebenso soll er soll den Malenden beim Fertigwerden nicht drängen. Der Malende soll selber entscheiden, wann das Bild fertig ist.

Der Leiter soll nicht zuviel auf die Malenden einreden, sondern leise sprechen und mit Handlungen wie lächeln, nicken oder handauflegen kommunizieren (vgl. Egger 1981). Es ist besser, erst nach dem Malen zu reden, dann den Malprozeß nachzuerleben und die wichtigsten Ereignisse einander mitzuteilen.

Der Gruppenleiter soll viel herumgehen; so ist er gleichzeitig bei allen, und jeder fühlt sich beachtet, doch keiner fühlt sich kontrolliert. Er soll sich ausreichend Zeit lassen, um sich um jeden zu kümmern, insbesondere wenn einzelne Teilnehmer ihn stark beanspruchen.

Hinsichtlich des Bildes soll keine subjektive Wertung vorgenommen werden. Das Bild ist nicht nach der persönliche Vorliebe des Gruppenleiters zu beurteilen, denn die Teilnehmer werden schnell von solchen Wertungen abhängig und verlieren die eigene Freiheit zu entscheiden, ob für sie ein Bild befriedigend ist oder nicht (vgl. Egger 1981). Daher soll er das Bild nicht loben. Wenn er sagt, ein Bild sei schön, heißt das, daß es auch nicht schöne Bilder gibt. Warum sollte seine subjektive Meinung hier entscheiden? Außerdem ruft er mit seinem Lob wieder das Leistungsdenken auf den Plan, von dem loszukommen schwer genug ist. Besser stellt er die Frage zurück an den Malenden, dem es schließlich gefallen soll. Der Gruppenleiter soll, wie auch die anderen Teilnehmer, dem Malenden zeigen, daß sein Bild eine Wirkung auf ihn hat. Er soll – sparsam allerdings – seine Empfindungen wie etwa Freude, Überraschung oder Berührtheit mitteilen. Statt des Bildes soll die kreative Leistung wertgeschätzt werden, was Aussagen wie »Das war aber viel Arbeit.«, »Das war aber nicht leicht.« oder »Du hast dir viel Mühe gegeben.« dokumentieren (vgl. Egger 1981).

Es darf nicht sein, daß der Leiter das Bild für den Teilnehmer malt, weil dieser es sich nicht zutraut. Er soll auch nichts vormalen – es sei denn zum Erläutern der Maltechnik, wenn sprachliche Anleitung nicht ausreicht. Genausowenig soll er im Bild korrigieren; denn was sollte auch korrigiert werden? Für den Behinderten soll immer erkennbar bleiben, daß es sein Bild ist, und daß er allein darüber entscheidet, wie es sich entwickelt und was mit ihm geschieht. Genauso sollen nie konkrete Vorschläge gemacht werden, was noch gemalt werden könnte. Besser aus der Logik des Bildes heraus fragen: »Wie kommt der Mann ins Haus?«, »Was könnte noch ins Bild passen?« oder ähnliches (vgl. Egger 1981).

 

zum nächsten Kapitel Zum nächsten Kapitel